Bahn setzt alles auf eine Karte

BERLIN. Als Bahnchef Hartmut Mehdorn gestern in Berlin das Podium erklomm, war die wichtigste Nachricht schon lange vermeldet. Der drahtige Manager werde die Reform der Reform verkünden, hatte es im Vorfeld aus Bahnkreisen geheißen.

Kaum hatte Kanzlerfreund Hartmut Mehdorn für seine Pressekonferenz Platz genommen, wurde er gefragt, ob er eine Bahncard dabei habe. "Natürlich habe ich eine, aber ich fahre doch jetzt nicht Bahn", wehrte er ein Vorzeigen ab. Das "Stück Plastik" (Mehdorn) in fast alter Form ist jedenfalls jetzt wieder Herzstück des Bahn-Tarifsystems und soll der Rettungsanker für die Eisenbahner werden. Reumütiger Bahnchef: "Asche auf unser Haupt"

Denn so, wie Mehdorn gestern nicht Bahn fuhr, hielten es in den letzten sieben Monaten immer mehr Bundesbürger: Sie kehrten den DB-Waggons den Rücken. Wegen des "Angriffs der Billigflieger", so der 60-Jährige, auch wegen der konjunkturellen Lage. Vor allem aber wegen des im Dezember mit viel Tamtam eingeführten neuen Preissystems, dem die alte Bahncard zum Opfer fiel. Ein klassischer Flop waren die neuen Tarife, zu kompliziert und verwirrend, zu unflexibel, zu teuer und wohl zu stark ans Flugzeug angelehnt. Selbst Mitarbeiter des Unternehmens hatten damit ihre liebe Not. Quasi mit der Einführung schlug dem Konzernchef deshalb eine Welle der Ablehnung entgegen. Lange hatte sich Mehdorn gesträubt, dem öffentlichen Druck überhaupt nachzugeben und Kritiker seines Vorgehens dabei barsch abgekanzelt. Gestern gab er sich aus guten Gründen lammfromm und reumütig: "Wir haben verstanden", so ein um die Gunst der weglaufenden Kunden buhlender Eisenbahner. "Asche auf unser Haupt." Vermutlich werden Mehdorn jedoch nicht nur die Kundenunzufriedenheit, die Kritik von Verbänden und aus dem Hintergrund und die kräftige Schelte der Politik, sondern auch der Blick auf die Zahlen zum Umkehrschwung bewegt haben. Wegen des im Dezember eingeführten neuen Preissystems sind laut Statistischem Bundesamt nämlich die Fahrgastzahlen im Fernverkehr stark zurückgegangen - allein in den ersten drei Monaten des Jahres nutzten fast elf Prozent weniger Bürger die Fernverkehrszüge. Laut Unternehmen hat dies allerdings mit den saisonal schwachen Monaten zu tun. "Ein Umsatzeinbruch bei der Bahn hat nicht stattgefunden", wehrte Mehdorn gestern überdies Gerüchte aus der parlamentarischen Ecke ab, wonach der Konzern schon in diesem Jahr pro Monat 50 Millionen Euro Verlust eingefahren habe. Wie auch immer man jedoch rechnet, es gibt den erheblichen Rückgang bei den Fahrgastzahlen, der laut Verbraucherverbände zu einem Großteil dem Preissystem zuzuschieben ist. Und ohne Frage steht die Bahn tief in der Miese: Im ersten Quartal 2003 soll sie ein Minus von 180 Millionen Euro eingefahren haben, obwohl für das ganze Jahr nur 220 Millionen veranschlagt sind. Nicht zuletzt deswegen mussten im Mai die beiden für das Preissystem verantwortlichen Vorstände ihren Hut nehmen, während die Bundesregierung Mehdorns Vertrag vorzeitig bis 2008 verlängerte. Ein Zeichen. Der Chef selbst sollte nämlich - auf Druck der Politik - das Preisheft in die Hand nehmen, auch, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, im nächsten Jahr schwarze Zahlen zu schreiben. Dafür braucht es aber nicht nur die alten Kunden, insbesondere neue müssen her. Also wird zum 1. August die alte Bahncard mit 50 Prozent Rabatt wieder eingeführt. Sie ist jedoch teurer geworden und kostet in der zweiten Klasse 200 und in der ersten 400 Euro. Allerdings will die Bahn zusätzlichen Service damit verbinden. Ehepartner, Studenten, Schüler und Senioren erhalten sie zum halben Preis. Zudem werden die Frühbucherrabatte auf zwei Stufen, 25 und 50 Prozent, vereinfacht und gelten einheitlich bei Buchung drei Tage vor Fahrantritt. Für Vielfahrer wird die Bahn noch die Bahncard 100 anbieten, für Wenigfahrer die Bahncard mit 25-prozentigem Rabatt. "Wir haben den Weg gefunden, den unsere Kunden mit ihrer Kritik wollten", glaubt Mehdorn nun. Vielleicht hofft er es auch nur.

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