Bedauern, Hoffen, Freuen

TRIER. (red) Mit dem ersten Ökumenischen Kirchentag, der heute in Berlin beginnt, wollen Katholiken und Protestanten ein neues Kapitel der Zusammenarbeit schreiben. Wie ist es um die Einheit der Christen bestellt? Das fragten wir den Trierer Bischof Reinhard Marx und den neuen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider.

Papst Johannes Paul II. hat in seiner jüngsten Enzyklika zur Eucharistie einem gemeinsamen Abendmahl eine klare Absage erteilt. Ist das das richtige Signal mit Blick auf den bevorstehenden Ökumenischen Kirchentag in Berlin? Schneider: In der Enzyklika des Vatikans steht nichts drin, was wir nicht schon als römisch-katholische Position kennen: Das Festhalten am Weihepriestertum, das alleine dazu berechtigt, die Eucharistie zu spenden. Enttäuschend ist, dass darin kein zukunftsweisendes Signal für die Ökumene enthalten ist. Marx: Hier kann ich mir vorab eine Bemerkung nicht verkneifen. Die Enzyklika ist viel kritisiert worden, auch von Journalisten. Ich werde den Verdacht nicht los, dass die meisten von ihnen die Enzyklika überhaupt nicht gelesen haben. Anders kann ich mir Behauptungen wie die, dass der Papst gegen die Ökumene sei, nicht erklären. Es ging allerdings um das gemeinsame Abendmahl

Marx: Nun zur Sache: Natürlich wäre es schön, wenn wir in Berlin gemeinsam die Eucharistie feiern könnten. Wir sind aber auch der Wahrheit verpflichtet. Und wahr ist, dass wir kein gemeinsames Verständnis von der Eucharistie haben und die katholische Kirche - wie übrigens auch alle orthodoxen Kirchen - daran festhält, dass Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft zusammen gehören. Zur Ökumene gehören auch die orthodoxen Kirchen, die ja die Enzyklika durchaus begrüßen. Ehrlich ist also nur der mühselige Weg der Suche nach der gemeinsamen Wahrheit. Es ist vielleicht schmerzhaft, aber auf jeden Fall hilfreich, dass der Papst daran erinnert hat. Selbst das Zentralkomitee der deutschen Katholiken bedauert, dass Rom keine Schritte hin zu mehr Einheit der Kirchen aufgezeigt hat. Hätten auch Sie es gerne konkreter gehabt? Schneider: Ja, sicher! Bedauerlicherweise finde ich in der Enzyklika gar keine Hinweise darauf, wie konkrete Schritte zu einer Mahlgemeinschaft von evangelischen und katholischen Christinnen und Christen aussehen könnten. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Gemeinsamkeit aus der Anerkennung und dem Respekt gegenüber den theologischen Traditionen der jeweiligen Partnerkirche erwächst. Nach unserem - protestantischen - Abendmahlverständnis lädt Christus selbst die Menschen an seinen Tisch ein, und wir als Kirche geben die Einladung unseres Herrn weiter. Wer sich von dieser Einladung angesprochen weiß und ihr mit Ernst folgen möchte, den können wir als Kirche nicht zurückweisen. Marx: Zunächst einmal steht das Zentralkomitee, was die eben erwähnte Frage angeht, auf der Linie des Papstes. Die Veranstalter des Katholikentages haben ja bereits vor der Enzyklika festgehalten, dass es eine gemeinsame Eucharistiefeier nicht geben wird, und der Respekt vor der Überzeugung des anderen da sein muss. Dass die Dinge - auch von evangelischer Seite - nicht so einfach sind, wie manche meinen, hat die Diskussion um die Rechtfertigung gezeigt. In der Ökumene geht es nicht um Kompromisse wie bei Koalitionsverhandlungen. Natürlich ist der Wunsch nach konkreteren Schritten verständlich, der Papst spricht ihn ja selber aus. Aber der Papst verfügt über keine übernatürlichen Einsichten, mit Hilfe derer er den eben erwähnten mühsamen Weg abkürzen könnte. Was sagen Sie kirchen-kritischen katholischen Gruppen, die am Rande des Kirchentages zum gemeinsamen Abendmahl einladen? Marx: Ich bin der festen Überzeugung, dass sie der Ökumene mehr schaden als nutzen. Statt zu mehr Einheit führt dieser Weg zur Spaltung innerhalb der katholischen Kirche und zu einer Belastung der Ökumene mit den orthodoxen Kirchen. So wie eine geglückte Ehe mehr braucht als einen Gefühlssturm von Verliebten, um die Stürme der Zeit überstehen zu können, so braucht die Ökumene eine stabile Basis und nicht nur den Überschwang des Wollens. Die Ökumene muss alle Gläubigen im Blick behalten und, wie wir heute sagen, nachhaltig sein. Schneider: Ich sage ihnen: Erstens, ich teile eure Hoffnung auf die volle Tischgemeinschaft von Protestanten und Katholiken. Und zweitens: Schaut nicht nur verkrampft auf die Abendmahlfrage, sondern erinnert euch an das, was wir in der Ökumene schon erreicht haben. Ganz vieles wäre vor 20 oder 30 Jahren noch undenkbar gewesen. Drittens: Habt einen langen Atem bei der Verfolgung eurer berechtigten Anliegen. Müssen katholische Priester, die an den Abendmahlfeiern teilnehmen, mit Sanktionen rechnen? Schneider: Das müssen Sie meine katholischen Amtsbrüder fragen. Marx: Ich erwarte von den Priestern selbstverständlich, dass sie sich an die kirchliche Ordnung halten und sich nicht von Wort und Weisung des Papstes und der Bischöfe trennen. Kirchentage sind auch immer Ansagen zur Zeit. Wie politisch muss oder darf gerade in Tagen tief greifender sozialer Reformen Kirche heute sein? Marx: Die Kirche ist zu den Menschen gesandt. Deshalb muss Kirche in gewisser Weise immer politisch sein. Dabei steht sie in einer Spannung: Einerseits muss sie eindeutig und konkret in ihren Aussagen sein, wenn sie Wirkung erzielen will. Andererseits gibt es legitime unterschiedliche Positionen zu politischen Einzelfragen. Die Kirche ist keine Partei. Sie kann ethische Orientierung geben, Ziele aufzeigen, mahnen und Kriterien für Gerechtigkeit und Menschlichkeit benennen. Wir legen beispielsweise im Bistum Trier mit der Aktion Arbeit den Finger in die Wunde der Massenarbeitslosigkeit. Wir prangern sie als Skandal an, fordern Politiker und Tarifparteien zum Handeln auf und unterstützen Arbeitslosenprojekte. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, den Verantwortlichen vorzuschreiben, mit welchen einzelnen Maßnahmen sie das Ziel zu erreichen haben. Schneider: Unsere christliche Botschaft lautet: Gott hat sich den Menschen in Liebe zugewandt und: Gott will, dass Menschen miteinander in Gerechtigkeit und Frieden leben. Das ist - kurz gesagt - die Botschaft des Evangeliums. Und weil Gott seine Menschen nicht sich selbst überlassen will, sind wir als Kirchen gefordert, uns für Menschen und menschliche Gemeinschaften hier und heute einzusetzen. Wir wollen und müssen gerade auch für diejenigen Stimme sein, die sich selbst kein Gehör verschaffen können. In der Heiligen Schrift begegnet uns eine besondere Leidenschaft Gottes für die Armen und Schwachen. Davon lassen wir uns als Kirchen in den Dienst nehmen. Insofern muss Kirche auch politisch sein und dafür eintreten, dass unsere Sozialsysteme auf der Basis einer Zukunftsvision verändert werden und dass sie bei allen heute notwendigen Einschränkungen sozial gerecht ausgestaltet werden. Was sind Ihre persönlichen Erwartungen an den Kirchentag? Marx: Wer hätte noch vor wenigen Jahren geglaubt, dass es einen gemeinsamen Kirchentag geben kann. Jetzt haben wir es geschafft. Wir haben der Welt etwas zu sagen. Ich hoffe, dass wir diese Chance mit beiden Händen ergreifen und sie nicht mit Grabenkämpfen verspielen. Der ökumenische Kirchentag kann ein gemeinsames Bekenntnis zum Gott und Vater Jesu Christi werden. Persönlich freue ich mich auf die vielen Begegnungen. Mein Wunsch ist, dass wir in Berlin ein frohes Fest des Glaubens erleben, das die Teilnehmer und die am Rande Stehenden ansteckt, aber auch nachdenklich macht. Schneider: Ich freue mich auf die Begegnung mit vielen interessanten Menschen und auf Bibelarbeiten, bei denen ich auch selbst geistlich auftanken kann. Und ich hoffe darauf, dass Protestanten und Katholiken an Leib und Seele gestärkt aus Berlin nach Hause zurückkehren, um dort die alltägliche Ökumene fröhlich und zukunftsweisend zu leben. Ich setze darauf, dass das Leitwort des Ökumenischen Kirchentages - Ihr sollt ein Segen sein - nach dem Kirchentag auch in den Gemeinden Wirklichkeit wird. Die Fragen stellte Guido Peters.

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