Behinderte wollen kein Ghetto

MAINZ. (win) Umdenken in der Behinderten-Politik: Statt in Heime soll stärker in ortsnahe Wohn- und Unterstützungsformen investiert werden. Lebensqualität und Selbstbestimmung will Sozialministerin Malu Dreyer künftig mehr Gewicht einräumen.

"Wohnen, wo ich will", lautet der Wunsch vieler Menschen mit Behinderungen. Doch von rund 18 000 staatlich unterstützten Kindern, Frauen und Männern leben in Rheinland-Pfalz 11 000 in Wohnheimen. Die Unterbringung, ob in Einrichtungen oder privat, unterstützen Land und Kommunen mit insgesamt 500 Millionen Euro.Trend zur Unterbringung in Wohnheimen

Der Trend zur Unterbringung im Heim stieg in den vergangenen Jahren weiter an, so Ottmar Miles-Paul vom Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter, das im Auftrag des Mainzer Sozialministeriums eine Studie vorgelegt hat. Bei der Unterbringung in stationären Einrichtungen liegt das Land mit 2,66 Menschen pro 1000 Einwohner über dem Bundesdurchschnitt (2,3), obwohl in den vergangenen Jahren die Hilfen für Behinderte zu einem selbstständigeren Leben ausgebaut wurden. So stieg die Zahl der Teilnehmer von betreutem Wohnen seit 1988 von 136 auf rund 2000. Vor fünf Jahren wurde das persönliche Budget eingeführt, das Behinderten die Möglichkeit gibt, sich gezielt Hilfen einzukaufen, die sie benötigen. Praktiziert wird zudem seit vielen Jahren die persönliche Assistenz, bei dem der behinderte Mensch als Arbeitgeber die Hilfe einer oder mehrerer Assistenzkräfte in Anspruch nimmt. Große Einrichtungen müssten in ortsnahe kleinere Strukturen umgebaut werden, fordert Ministerin Malu Dreyer (SPD). Nach ihrer Überzeugung darf ein selbstbestimmtes Leben der Behinderten auch nicht nur an Selbstständigkeit gekoppelt werden. Hilfsangebote müssten eben entsprechend ausgelegt werden. Bis zum Jahresende will eine vom Ministerium eingesetzte Kommission einen Katalog von Hilfen erarbeiten. Geleitet wird sie vom Landesbehindertenbeauftragten, dem Sozial-Staatssekretär Richard Auernheimer. Mehr Selbstständigkeit spart laut Untersuchungen in vielen Fällen auch Kosten. Doch rechnet Dreyer insgesamt nicht mit großen Einsparungen. Angesichts einer wachsenden Zahl älterer Behinderter gilt es nach ihren Worten jedoch, nicht zuletzt eine Kostenexplosion zu vermeiden. Mit dem Richtungswechsel soll nach Dreyers Worten mehr Lebensqualität ermöglicht werden. Es gehe um das Einbeziehen der Betroffenen in das normale Leben, in nachbarschaftliche Hilfen und in Netzwerke von Unterstützungsleistungen, so dieMinisterin.Gutes Beispiel: Das Trierer Schammatdorf

Dies kann laut Miles-Paul vor allem erreicht werden, wenn individuelle statt einheitliche Lösungen angeboten werden und wenn in der Unterstützung mehr auf die Nachfrage reagiert wird, als nur fertige Konzepte bereit zu halten. Lobenswertes Modell integrativer Wohnform ist für ihn das Schammatdorf in Trier, wo Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedenster Familienstruktur und mit den unterschiedlichsten Unterstützungsbedürfnissen zusammenleben.

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