Berliner Verhältnisse auch in Mainz?

MAINZ. Krach im SPD-Bundesvorstand: Für eine realistische Einschätzung des Berliner Koalitionsgeplänkels hat sich Parteivize Kurt Beck harsche Kritik von Bundestagsfraktionsvize Ludwig Stiegler eingefangen. Dabei will der Mainzer Ministerpräsident nur möglichst rasch eine klare Gefechtslage in Berlin, um auch für die Landtagswahl Fronten zu ziehen.

"Sag niemals nie", antwortete Kurt Beck am Wochenende in einem "Focus"-Interview auf die Frage, ob eine Große Koalition auch ohne Kanzler Schröder möglich wäre. Erst Inhalte, dann Personen, so Becks Devise. Doch für die Botschaft "SPD rückt von Schröder ab", die daraufhin die Meldungen beherrschte, wurde der Landeschef am Montag im Parteivorstand von dem für emotionale Attacken bekannten Bundestagsfraktionsvize Ludwig Stiegler heftig angegangen. Dass der Bayer lautstark Beck vorgeworfen habe, Schröders Autorität beschädigt und die SPD-Verhandlungslinie durchbrochen zu haben, wurde nicht dementiert. Sogar von "Verrat" soll laut Medien die Rede gewesen sein. "Der Bayer ist nicht so ernst zu nehmen", heißt es dazu aus Becks Umfeld. Schließlich habe der Ministerpräsident als "Stimme der Vernunft" nur einen gewissen Realismus gezeigt. Inzwischen sage sogar Schröder dasselbe. Allein schon mit Blick auf die Landtagswahl im März kann die Regierungsbildung in Berlin Beck nicht kalt lassen. Scheitert die Große Koalition letztlich an einem quälenden Streit über die Rolle von Schröder und Merkel, könnte des Wählers Ärger auch ihn in sechs Monaten einholen. Sämtliche Gedankenspiele einzelner Genossen, nach einem mehr oder weniger programmierten Scheitern doch noch auf ein Fortbestehen von Rot-Grün mit stillschweigender Duldung der Linkspartei zu setzen, sind dem Mainzer Regierungschef ein Gräuel. Für ihn gibt es keine "verwertbare" linke Mehrheit, auch wenn sie in Mecklenburg-Vorpommern und im Berliner Senat längst regiert. Nicht von ungefähr kommen daher seine massiven Angriffe gegen die Linke mit ihrem "Wurmfortsatz" WASG im Westen, wie beim Kleinen Parteitag am Wochenende in Mainz. Beck muss versuchen, die Linkspartei im Land klein zu halten, will er nicht im Frühjahr Berliner Verhältnisse im Mainzer Landtag riskieren. Schließlich schaffte die Linke mit ihren "versprengten Gewerkschaftern" bei der Bundestagswahl überraschende 5,6 Prozent, nicht zuletzt weil sie vor allem in der Westpfalz im SPD-Wählerklientel erfolgreich fischen konnte. Kommt die Große Koalition in Berlin, stehen SPD und CDU ohnehin in Mainz vor der kuriosen Situation, sich gegenseitig nicht uneingeschränkt bekämpfen zu können - und dabei genau zu wissen, dass man wohl Wähler an die kleinen Parteien verlieren wird. Auch im Land könnten so die Karten neu gemischt werden, selbst wenn Mainz nicht Berlin ist, wie alle versichern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort