Betreuer oder Betrüger?

TRIER. In Bernkastel-Kues, Thalfang oder Hillesheim wird man dieser Tage besonders gespannt Richtung Trierer Landgericht schauen. Denn dort leben (oder lebten) viele der Betreuten, die Horst S. laut Anklage über Jahre geprellt haben soll.

Die amtliche Betreuung von Menschen, die ihre eigenen Alltags-Geschäfte nicht mehr selber führen können, ist eine heikle Angelegenheit. Niemand hat über das Vermögen eines fremden Menschen so viel Macht bei so wenig Kontrolle wie der Betreuer. Nirgendwo ist der Grat so schmal, sind die Abwägungen so komplex, wird so viel Vertrauen gebraucht. Vor diesem Hintergrund ist die Akribie der Staatsanwaltschaft im Fall Horst S. zu verstehen. Bis hin zu Kleinst-Beträgen hat man seine Abrechnungen durchforstet, jeden fehlenden Gegenstand aufgelistet, jede ungeklärte Transaktion auf die große Anklage-Liste gesetzt. 719 Fälle werden verlesen, schon von der Quantität her ein Pfund, mit dem man jeden Angeklagten erschlagen kann. Das kann unmöglich ein Zufall sein, keine Verkettung unglücklicher Umstände, keine Fehlinterpretation. Dafür ist es einfach zu viel. Aber genau das sagt Horst S. Ein bisschen aufgeregt ist der 45-Jährige, aber ausgesprochen kooperativ. Man kann ihn sich gut als hemdsärmeligen Betreuer vorstellen, ein Kumpeltyp. Er hat sich durchgebissen, nach mäßiger Schulzeit, alle Abschlüsse nachgeholt, das Sozialarbeiter-Diplom erworben. 1995 hat er sich als Berufsbetreuer selbstständig gemacht, nicht ohne Erfolg. Die Amtsgerichte in Bernkastel-Kues, Wittlich, Daun oder Cochem versorgten ihn reichlich mit Betreuungsfällen. "Ich wurde halt gern genommen", sagt er nicht ohne Stolz. Dieser nette Mann will so gar nicht passen zu dieser unerfreulichen Anklageschrift. Es sind nicht einmal so sehr die 692 Fälle von Doppel-Abrechnungen, die Staatsanwalt Herold ihm vorhält. Da will Horst S. zwar gelegentlich falsche Termine angegeben haben, aber nur Fahrten, die wirklich stattgefunden hätten. "Ich habe das immer so nach Monaten rückwirkend über den Daumen aufgeschrieben", meint er treuherzig. Die dritte große Strafkammer beim Trierer Landgericht schaut etwas ungläubig drein. Andere Vorwürfe sind schon bitterer. In fast zehn Fällen soll er seinen Schützlingen von deren Geld Liegesessel zu Preisen zwischen 3000 und 4000 Euro gekauft haben - völlig überteuert, behauptet die Staatsanwaltschaft, und den Profit habe sich Horst S. mit dem Lieferanten, einem persönlichen Freund, geteilt. In weiteren Fällen seien gekaufte Waren verschwunden. Aber auch da folgt das Dementi auf dem Fuß. Er habe stets im Sinne, oft sogar auf ausdrücklichen Wunsch seiner Mandanten gehandelt, bekundet der Angeklagte. Und nie Profit daraus gezogen. Dass er nach dem Tod einer Betreuten deren bescheidenes Restvermögen vom Sparbuch abgehoben und für sich verwendet habe, bestreitet er nicht. Das sei aber nur ein Bruchteil des Geldes gewesen, dass ihm ohnehin zugestanden habe. Betreuer oder Betrüger: Das wird in einem langen, detailreichen Verfahren zu klären sein. Etliche der Einlassungen des Angeklagten sind durchaus faktisch überprüfbar. Entweder er hat am ersten Prozesstag geradezu sträflich gelogen, oder die Anklage hat doch nicht alle Hausaufgaben gemacht. Auf den Prüfstand wird aber auch die Frage kommen, ob die verantwortlichen Kontrolleure bei der Betreuung genau genug hinschauen.

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