Bischof hält Lage für dramatisch

TRIER. Vor zwei Monaten schlugen die Leiter der Trierer Hauptschulen in einem offenen Brief Alarm, weil nur noch jeder fünfte ihrer Schüler trotz Abschluss eine Lehrstelle antritt. Der Hilferuf blieb nicht ungehört: Bischof Reinhard Marx hat sich des Themas angenommen.

Der Bischof lud die Schulleiter und einen Vertreter der ADD kurzerhand zum Gespräch ins Generalvikariat ein, um sich ihre Sorgen anzuhören. Die außergewöhnliche Aktion des "offenen Briefs" (der TV berichtete) hatte für heftige öffentliche Diskussionen gesorgt. Der Schritt sei richtig gewesen, befand nun der Bischof, "weil er die Diskussion anregt und das brennende Thema wachhält". Wie brennend das Thema ist, dokumentierte die Situationsbeschreibung von Alfred Gelz, Leiter der Trierer Cusanus-Hauptschule. Nur zehn Prozent seiner Absolventen verfügten in diesem Sommer über einen Ausbildungsvertrag. "Ein Zustand, der nach Änderung schreit", sagte der engagierte Rektor. Dabei richtete er keine Vorwürfe an die Unternehmen. Die handelten auch nur "ökonomisch vernünftig", wenn sie sich einige wenige Schüler mit Bestnoten für ihre begehrten Lehrstellen aussuchen. Unterstützung für die Schulleiter von der Schulaufsicht: "Sie schildern die Lage eben so, wie sie ist", sagte ADD-Vertreter Peter Riedel. Auch von seiner Seite aus kein Vorwurf an die Arbeitgeber. Deren Argument, viele schwächere Schüler seien nicht ausreichend qualifiziert, treffe "in vielen Fällen zu". Die Schule müsse ihr Bestes tun, um Schülern grundlegende Fertigkeiten für das Berufsleben zu vermitteln. Aber der Mangel an Jobchancen für weniger Leistungsfähige sei das Haupt-Problem, und da müsse "die ganze Gesellschaft überlegen, wie man mit diesem Defizit umgeht". In diese Kerbe schlug auch der Bischof. Es sei "nicht möglich, jeden Menschen beliebig zu qualifizieren". Ziel müsse sein, dass auch weniger Leistungsfähige die Chance hätten, "mit ihren Fähigkeiten einen akzeptierten Platz in der Arbeitswelt zu finden, der auch ein angemessenes Selbstwertgefühl vermittelt". Noch deutlicher wurde Rudolf Hammes von der kirchlichen "Aktion Arbeit". Gut gemeinte Appelle hätten sich als fruchtlos erwiesen, nun sei politisches Handeln gefragt. "Wenn die Betriebe nicht mehr ausbilden, muss die überbetriebliche Ausbildung ausgebaut werden", so seine Forderung. "Ohne reelle Chance auf gesellschaftliche Teilhabe lassen sich auch keine Werte vermitteln", ergänzte Karl Fuchs von der Hauptabteilung Schule beim Bistum.Mehr öffentliches Engagement nötig

Einig war sich die Runde in der Forderung, die individuelle Hinführung der Schüler Richtung Arbeitswelt zu verbessern. Dabei sei das Land Rheinland-Pfalz beim Ausbau der Schulsozialarbeit gefordert, betonte Rudolf Hammes. Und die Stadt Trier müsse sich fragen lassen, warum sie sich bei einem andernorts erfolgreichen Projekt wie "Jobfux" nicht engagiere. Die allseits gelobten Milliarden-Einsparungen bei der Agentur für Arbeit wurden kritisch hinterfragt, seien sie doch auch "durch Einsparungen bei der Berufsvorbereitung" erzielt worden. Abschließend sagte Bischof Marx zu, sich für das Anliegen der Schulleiter einzusetzen. Die Öffentlichkeit sei sich "der Dramatik der Situation nicht bewusst". Langfristig drohe "die Entstehung einer neuen Unterschicht" und damit "ein zivilisatorischer Rückschritt".

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