Brüssel erlebt derzeit einen Krimi um die Schulz-Nachfolge

Brüssel · Martin Schulz bleibt bis zur letzten Minute an Bord. Der scheidende EU-Parlamentspräsident lässt es sich nicht nehmen, morgen noch den neuen Präsidenten der Europäischen Linken, Gregor Gysi, zu empfangen. Indes ist völlig ungewiss, welcher Abgeordnete am Dienstag an seine Stelle tritt.

Brüssel. Die Wahl seines Nachfolgers hat sich zu einem Krimi entwickelt. In den Fraktionen liegen die Nerven blank. Vor allem beim CDU-Politiker Manfred Weber, der die mit 217 Abgeordneten größte Fraktion (EVP) anführt. Der 44-Jährige hätte wohl selbst die Schulz-Nachfolge antreten können. Er wollte aber nicht, erklärte sich zum "Manager" des Verfahrens. Doch der Prozess, einen guten Kandidaten zu finden und um Stimmen bei den anderen Fraktionen zu werben, ist ihm entglitten. Seine Fraktion hat sich für den Italiener Antonio Tajani als Kandidaten entschieden. Tajani ist aber als Berlusconi-Vertrauter Liberalen und Sozialisten nicht vermittelbar. Der 63-Jährige, der auch in seiner eigenen Fraktion nicht unumstritten ist, braucht aber die Stimmen aus anderen Fraktionen, um die Wahl zu gewinnen. Das Parlament hat 751 Abgeordnete. Die Christdemokraten hatten lange darauf gebaut, dass sich die Sozialisten schon an die Absprache aus dem Jahr 2014 halten und zur Hälfte der Wahlperiode den Kandidaten der EVP unterstützen würden. Doch damit lagen sie falsch: Der Fraktionschef der Sozialisten, Gianni Pitella, rief sich selbst zum Kandidaten aus. Damit ist klar, dass Weber nicht mit den Stimmen der 189 Abgeordneten der S&D-Fraktion rechnen kann, zu der auch die deutschen Sozialdemokraten gehören. Auch die Liberalen, mit 68 Abgeordneten die vierte Kraft im Parlament, schicken einen eigenen Kandidaten ins Rennen: den ehemaligen belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt.
Jetzt erhöht Weber noch einmal den Druck auf die Sozialisten. Er veröffentlicht das bis dato unter Verschluss gehaltene Dokument, mit dem Sozialisten und Christdemokraten am Beginn der Wahlperiode ihre Zusammenarbeit besiegelten und eine Absprache zur Wahl des Parlamentspräsidenten trafen. Es besteht aus sechs dürren Zeilen, ist in Englisch formuliert. "Sie sind sich einig, dass die Sozialisten in der ersten Hälfte der Wahlperiode den Präsidenten bestimmen und die Christdemokraten in der zweiten Hälfte." Das Dokument, unterschrieben am 24.6 2014 in Brüssel, trägt die Unterschriften von Weber und Martin Schulz. Webers Botschaft ist klar: Er bezichtigt die Sozialisten des Wortbruchs und weist ihnen die moralische Schuld an der Misere zu. Ob es ihm viel bringt, steht in den Sternen. Es könnte ein Akt der Verzweiflung gewesen sein.
Damit zeichnet sich ab, dass die Wahl am Dienstag spannend wird. In den ersten drei Wahlgängen dürfte keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der abgegeben Stimmen erreichen. Der vierte Wahlgang wird dann wohl zum Duell zwischen dem Italiener Tajani (EVP) und dem Italiener Pitella (S&D). Wer dabei gewinnt, ist nicht vorhersagbar. grab

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