"Bürokratie-Monster" auf Zeit

BERLIN. Das stark kritisierte Antidiskriminierungsgesetz ist am Freitag im Bundestag mit den Stimmen von SPD und Grünen verabschiedet worden. Es ist jedoch ungewiss, ob das Gesetz, das EU- Richtlinien umsetzt, noch in Kraft treten wird.

Über das Antidiskriminierungsgesetz wurde Jahre lang gestritten. Und selbst bei seiner Verabschiedung gestern im Bundestag gerieten die Gemüter noch einmal heftig in Wallung. Die Union sprach von einem "Bürokratie-Monster und Arbeitsplatzvernichtungsgesetz". Dagegen sahen SPD und Grüne einen "guten Tag" für alle Benachteiligten im Land. Wegen der vorgezogenen Neuwahlen dürfte es am Ende aber noch zu deutlichen Korrekturen der Vorlage kommen. Nach langem Zögern hatten die Regierungsfraktionen ihren Entwurf im Januar aufs parlamentarische Gleis gehoben, um insgesamt vier Richtlinien der EU aus der Zeit zwischen 2000 und 2004 in deutsches Recht umzusetzen. Im Kern geht es darum, jegliche Diskriminierung aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft und des Geschlechts sowie der Religion, Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung und der sexuellen Identität zu verbieten. Aus Sicht der Opposition war Rot-Grün dabei aber von Anfang an weit über das Ziel hinaus geschossen. Auch im Regierungslager selbst gab es besorgte Stimmen, die gut gemeinte Absicht könne sich ins Gegenteil verkehren und zu wirtschaftlichen Problemen führen. Industrieverbände sowie Wohnungsunternehmen und Kirchen liefen unterdessen Sturm gegen die gesetzliche "Überregulierung". So kam es, dass an den Paragraphen immer wieder gefeilt wurde und der Europäische Gerichtshof die Deutschen Ende April wegen Überfälligkeit der gesetzlichen Umsetzung rügte. Jene Verurteilung ermöglicht es der EU-Kommission, Strafzahlungen gegen Deutschland zu verhängen. Insofern kann auch die Union das Gesetzesvorhaben nicht ignorieren. Obwohl der erste Entwurf von Rot-Grün an rund 40 Stellen überarbeitet wurde, geht er immer noch weit über die EU-Vorgaben hinaus. So verlangt Brüssel beispielsweise im Bereich des Zivilrechts lediglich ein Benachteiligungsverbot bezüglich Rasse, ethnischer Herkunft und Geschlecht. Das deutsche Gesetz enthält hier zusätzlich die Kriterien Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung. Auch eine zentral einzurichtende Antidiskriminierungsstelle soll über die Einhaltung aller acht Merkmale wachen, statt nur über drei, wie von der EU gewünscht. Kritiker befürchten daher eine Flut an juristischen Auseinandersetzungen. In der Praxis bedeutet das Gesetz zum Beispiel für einen Vermieter, dass er ausländische oder farbige Interessenten nicht mehr ungestraft abweisen kann. Ausnahmen gelten, wenn es sich etwa um eine Wohnung im Haus des Vermieters handelt. Darüber hinaus dürfen Gastwirte und Hotels keinen Behinderten mehr abweisen oder Homosexuellen eine Übernachtung verwehren. Auch kann einem Bewerber grundsätzlich nicht mehr wegen seines Alters eine Arbeitsstelle verweigert werden. "Positive Diskriminierung" bleibt jedoch erlaubt: Ein Seniorenteller im Restaurant ist danach genauso möglich wie der Frauenparkplatz in einer öffentlichen Tiefgarage. Bei Sozialplänen darf ebenfalls eine Ungleichbehandlung zu Gunsten Älterer erfolgen. Klargestellt wurde auch, dass Kirchen ihre Beschäftigten weiter nach der Religionszugehörigkeit aussuchen können. Union: Eingriff in Eigentumsrechte

Nach Einschätzung von Union und FDP sowie des Deutschen Anwaltvereins (DAV) greift die Vorlage aber weiter massiv in die Vertragsfreiheit sowie in die Eigentumsrechte der Bürger ein. Die Wirtschaft kritisiert insbesondere das Klagerecht von Betriebsräten und Gewerkschaften, ohne das ein vermeintlich Diskriminierter einwilligen muss. Das Gesetz ist im Bundesrat zwar nicht zustimmungspflichtig. Der Bundestag könnte das Votum der Länderkammer also überstimmen. Als sicher gilt jedoch, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen wird. Auf diese Weise lässt sich das Gesetz praktisch nicht mehr bis zum angepeilten Wahltermin am 18. September verabschieden. Die nächste Regierung muss dann eine neue Vorlage erarbeiten. Im Falle eines Unions-geführten Kabinetts dürfte es sich um eine abgespeckte Variante handeln.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort