Den Tod des Babys in Kauf genommen

Misshandlung und versuchter Totschlag: So lautet das Urteil gegen einen 32-jährigen Vater. Der Mann hat gestanden, sein neugeborenes Baby brutal gequält zu haben.

Trier. Es ist schwer zu ertragen, was Bianca Navarro vorträgt. Doch mit jedem Satz, den die 35-Jährige Rechtsmedizinerin aus ihrem Gutachten vorliest, wird immer deutlicher, dass Anne-Line bereits kurz nach der Geburt im Mai vergangenen Jahres unvorstellbare Schmerzen hat ertragen müssen. "Ich habe noch nie ein Kind gesehen, das so schrecklich geweint hat vor Schmerzen", sagt Navarro, die das Baby, nachdem es Anfang Juli vergangenen Jahres mit schweren Verbrühungen von seiner Mutter ins Wittlicher Krankenhaus gebracht worden war, wegen des Verdachts auf Kindesmisshandlung untersucht hat. Der Verdacht bestätigt sich für die profilierte Rechtsmedizinerin dann auch schnell. Nach mehreren Untersuchungen steht fest, dass dem Kind mehrere Knochen gebrochen worden sind, dass es mit dem Kopf womöglich auf eine Tischkante geschlagen worden sein muss, sein Brustkorb eingequetscht worden ist. "Es gibt keinen Zweifel, dass das Kind misshandelt worden ist", sagt Navarro, die nach eigenem Bekunden 500 Misshandlungsfälle pro Jahr untersucht. Doch selbst für die Expertin ist der Fall Anne-Line außergewöhnlich: "Ein derart sadistisch gequältes Kind hatte ich bisher noch nicht gesehen", sagt Navarro nach der Verhandlung.

Anne-Lines Vater schaut während des Berichts der Mainzer Rechtsmedizinerin unter sich, kämpft mit den Tränen. Zwei Tage zuvor hat er von seinen Verteidigern Andreas Hackethal und Franz Xaver Wittl ein Geständnis verlesen lassen. Darin gibt er alle die ihm von der Staatsanwaltschaft vorgeworfenen Taten zu. Er gesteht damit auch, den Tod seiner gerade erst geborenen Tochter in Kauf genommen zu haben. Denn obwohl er gewusst haben muss, welche "fast unerträglichen" Schmerzen er dem Baby mit seiner offenbar gefühllosen Quälerei zufügte, wie die Vorsitzende der Ersten Großen Strafkammer, Richterin Petra Schmitz, im Urteil sagt, lässt der Vater die schweren Verletzungen des Kindes nicht von einem Arzt behandeln. Auch seiner älteren Freundin, der Mutter des Kindes, sagt er angeblich nichts.

Was ihn zu den Gewaltausbrüchen getrieben hat, bleibt auch an dem letzten Verhandlungstag unklar. Der 32-Jährige äußert sich nicht im Detail zu den Vorwürfen. Womöglich hat er das Kind aus Frust über seine Partnerin gequält, vermutet der psychiatrische Gutachter Johann Glatzel.

"Sie haben sich bewusst das schwächste Familienmitglied ausgesucht", schreibt Richterin Schmitz dem sichtlich mitgenommenen 32-Jährigen bei ihrer 30-minütigen Urteilsverkündung ins Stammbuch. Neun Jahre Haft wegen Misshandlung und versuchten Totschlags lautet das noch nicht rechtskräftige Urteil. Die beiden Verteidiger haben acht Jahre gefordert. Von der Staatsanwaltschaft standen zunächst 13 Jahre Gefängnisstrafe im Raum. Wegen des Geständnisses einigten sich Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft auf eine höchstens neunjährige Strafe - dadurch wurde womöglich ein langwieriger Prozess verhindert.

Genauso unklar wie das Motiv bleibt auch, ob die Mutter des Kindes etwas von den Misshandlungen gewusst hat. Gegen sie wird noch ermittelt. Mittlerweile lebt die Frau getrennt von dem 32-Jährigen. Der Chefarzt der Kinderstation im Wittlicher Krankenhaus, Klaus Mahler, bezeichnet gegenüber dem TV die Mutter als "treu sorgend". Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Ärzte in der Klinik nicht bereits bei den ersten Untersuchungen des Babys glauben konnten oder auch wollten, dass Anne-Line Opfer von sadistischen Quälereien geworden ist. Laut Rechtsmedizinerin Navarro hätten den Ärzten frühzeitig die Misshandlungen auffallen müssen. Extra Kindesmisshandlungen: Immer wieder machten in den vergangenen Jahren Kindesmisshandlungen in der Region Schlagzeilen. Hier die gravierendsten Fälle: September 2005: Eine 31-jährige Kamerunerin misshandelt in Lissendorf (Vulkaneifelkreis) die zweieinhalbjährige Tochter einer Freundin so schwer, dass das Mädchen stirbt. Dezember 2005: Eine 28-Jährige aus Nittel (Kreis Trier-Saarburg) schüttelt ihren zwei Monate alten Sohn so stark, dass der Junge daran stirbt. Februar 2007: Eine 26-Jährige aus Morbach (Kreis Bernkastel-Wittlich) ertränkt ihren viereinhalb Monate alten Sohn in der Badewanne. Januar 2008: Ein 32-jähriger Bitburger misshandelt seine vier Monate alte Tochter und verletzt sie lebensgefährlich. (wie)

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