Der Mann, der im Schlaf unfreiwillig Ratten verspeiste

LUXEMBURG. Magische Bilder zauberte der britische Historiker Mervyn Heard auf die Leinwand der Luxemburger Cinematheque. Der Experte führte eine "Laterna Magica"-Schau vor, wie sie vor rund 120 Jahren Besucher von Jahrmärkten erleben konnten. Bei den Vorführungen ging es auch um ernste Themen.

"Unsere Helden befinden sich auf der Straße", so leitete Ludwig Vogl-Bienek die erste Szene des Projektionstheater "The Better Land - Sehnsucht nach einer anderen Welt" ein. Anders als ihre heutigen Artgenossen bewegten sich diese Helden jedoch nicht in rasanter Geschwindigkeit über die Leinwand der Cinématheque in Luxemburg. Die visuellen Protagonisten rührten sich, wenn überhaupt, nur durch fachmännische Bedienung des historischen Projektionsgerätes "Laterna magica". Bilderserien zum Kinderelend

Als "frühe Form des Kinos" bezeichnete Claude Bertemes - Direktor der Cinématheque - in seiner Begrüßung das Projektionstheater des 19. Jahrhunderts. Wohltätige Organisationen erreichten in dieser Zeit ein Millionenpublikum. Neben der Lichtspieltheatergruppe "Illuminago" um Vogl-Bienek führte der englische Professor Mervyn Heard durch den zweisprachigen Abend. Die historischen Bilderserien befassten sich im ersten Teil allesamt mit dem Schicksal armer Menschen in London. Die Projektionen reichten von Kinderelend über das Alkoholproblem der Erwachsenen bis hin zur Auswanderung in ein besseres Land. Die entsprechenden Geschichten erzählten die Laternisten bei musikalischer Untermalung zu den Lichtbildern. So zum Beispiel das Leiden eines alten Mannes, der seine Frau nicht vor dem Hungertod bewahren kann. Als sich die Lichtbilder bei der Projektion des Untergangs eines Auswandererschiffes zum ersten Mal bewegten, staunten viele der knapp 180 Zuschauer nicht schlecht. Im zweiten Teil wurde stärker der unterhaltsame als der aufklärerische Wert des altertümlichen Mediums dargeboten. Zum Schmunzeln animierte besonders die Darstellung eines Mannes, der im Schlaf unfreiwillig Ratten verspeiste. Auch der Sonderforschungsbereich "Fremdheit und Armut" der Universität Trier war an der Aufführung beteiligt. Professor Martin Loiperdinger vom Fach Medienwissenschaften sprach mit Blick auf die historische Projektionskunst von einem "weißen Fleck" auf der wissenschaftlichen Landkarte. Was früher die Massen überwältigte, wurde als angenehme Abwechslung zu den hektischen Medienproduktionen unserer Zeit angenommen. Bertemes zeigte sich über die positive Resonanz der ersten bilingualen Veranstaltung in der Cinématheque erfreut. Die Autoren sind Studenten des Fach Medienwissenschaften an der Universität Trier.

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