Der Zorn Gottes

TRIER. Hinter den Türen einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt zu verschwinden, das ist der Albtraum jedes Bürgers. Manchmal geht das schneller, als man ahnt - wie ein Fall dokumentiert, der in den vergangenen Wochen beim Trierer Landgericht verhandelt wurde.

Wilfried S. ist das, was man im Volksmund einen Querulanten nennt. Wenn er sich ungerecht behandelt fühlt, begehrt er auf, erstattet Anzeigen, lässt Dienstaufsichtsbeschwerden los, droht mit Unannehmlichkeiten. Mit wüsten Beleidigungen, auch in schriftlicher Form, ist er schnell zur Hand. Vermieter, Verwandte, Kollegen: Wilfried S. neigt dazu, sich von Verschwörungen verfolgt zu fühlen.Aus Ärger über Justiz Jura studiert

Besonderes Objekt seines Argwohns ist dabei die Justiz. Sein Zorn auf die Rechtspflege hat ihn sogar bewogen, nach einer psychischen Erkrankung auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachzumachen und Jura zu studieren - nicht ohne Erfolg. Inzwischen ist der 34-Jährige im siebten Semester an der Uni Trier und stolz darauf, alle Scheine erworben zu haben. Doch gerade seine juristische Sachkenntnis spielt eine Schlüsselrolle bei dem Strafrechtsfall Wilfried S. Ebenso wie seine ausgeprägte Religiosität, die der Durchschnittsbürger wohl stellenweise als wahnhaft einstufen würde. S. praktiziert aufwändige Bet-Rituale, bezeichnet sich gegenüber Freunden auch schon mal als Reinkarnation von John Lennon oder Jesus. Es ist ein Fest im Studentenwohnheim, das die fatalen Ereignisse einleitet. S., von einem Zimmernachbarn verbal provoziert, wehrt sich mit der Faust und einem Stuhl gegen das, was er als tiefe Beleidigung seiner religiösen Überzeugungen empfindet. Über eine Beule hinaus entsteht kein weiterer Schaden, aber der Nachbar erstattet Anzeige. S. wird vom Trierer Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Jura-Student empfindet das Urteil als völlig ungerecht. In Vorlesungen hat er gehört, dass gegen eine fortgesetzte Beleidigung, die nicht anders abgestellt werden kann, auch körperliche Notwehr zulässig ist. Doch zwischen der Hochschul-Theorie und der Gerichts-Praxis liegt ein weites Feld. S. kann das nicht akzeptieren. Das Urteil, so vermutet später der psychiatrische Gutachter, löst einen Schub bei der zwischenzeitlich zur Ruhe gekommenen Psychose aus. S. erstattet Anzeige wegen Rechtsbeugung, schreibt beleidigende Briefe ans Landgericht und kündigt in einer "Botschaft an alle Menschen" an, Gott werde "Tod, Verzweiflung, Panik, Krankheit und Wahnsinn" über eine Justiz ausschütten, "die am Unrecht festhält". Im November 2003 kommt die Antwort. Da hat S. einen Brief an einen Verwandten geschrieben, von dem er glaubt, dieser habe die Mutter von S. um einen Erbteil geprellt. Er fordert kategorisch eine bestimmte Summe innerhalb von sieben Tagen, anderenfalls werde der Verwandte "alles verlieren, was du liebst". Die Staatsanwaltschaft stuft die mit allerlei religiösen Drohungen garnierte Formulierung als "versuchte räuberische Erpressung" ein und erwirkt in Zusammenhang mit einem amtsärztlichen Fern-Gutachten die sofortige Einweisung des angeblich gemeingefährlichen S. in die geschlossene Psychiatrie."Das haut mich um", sagt der Verteidiger

Ein Vorgang, von dem S.' Anwalt Josef Ting beim Plädoyer sagt, es haue ihn um, wenn er sehe, wie man "nur aufgrund der Aktenlage in der Psychiatrie landen kann". Sechs Monate bleibt S. dort, bis zur Verhandlung vor der 3. Strafkammer des Trierer Landgerichts. Vier Tage dauert das Verfahren, nicht zuletzt, weil S. die Kammer serienweise mit Beweis- und Befangenheitsanträgen samt ausführlicher Begründungs-Vorträge bombardiert. Neue Fakten kommen kaum zu Tage, der psychiatrische Gutachter legt nahe, S. eine ambulante Behandlung seiner psychischen Probleme zur Auflage zu machen, aber den Zwangs-Aufenthalt in der Psychiatrie zur Bewährung auszusetzen. S. und sein Verteidiger fordern Freispruch, bedürfe es für eine Erpressung doch der konkreten Bedrohung, und die sei nicht gegeben, wenn jemand düstere Prophezeiungen über einen rächenden Gott ausspreche. Die Anklage aber bleibt von alledem unbeeindruckt. Sie will S. weiter in der geschlossenen Psychiatrie sehen. Der junge Staatsanwalt begründet das mit einem höchst problematischen Satz in Richtung des Angeklagten: "Statt Hasstiraden gegen die Trierer Justiz loszuwerden, hätten Sie besser sachlich fundierte Vorschläge gemacht." Jemandem, den man gerade für unzurechnungsfähig erklärt hat, seine mangelnde Vernunft vorzuwerfen, offenbart wenig Logik. Und die Verknüpfung mit der beleidigten Trierer Justiz ist auf unglückliche Art geeignet, jenen Munition zu liefern, die vermuten lässt, das Verfahren gegen S. diene in erster Linie dem Zweck, einem notorischen Justiz-Kritiker zu zeigen, wo der Hammer hängt.Nach dem Urteil zurück auf dem Boden

Das Urteil der Kammer holt alle Beteiligten auf den Boden der Realität zurück. Die "gefährliche Körperverletzung" der ersten Instanz wird durch eine "normale" ersetzt, die räuberische Erpressung als "einfache" zurückgestuft. S. erhält insgesamt acht Monate, die Haftstrafe wird ebenso wie die Einweisung in die Psychiatrie zur Bewährung ausgesetzt - wenn er sich ambulant behandeln lässt. S. kann in Freiheit nach Möglichkeiten suchen, sein Leben nicht durch seine Psychosen ruinieren zu lassen. Aber Stoff zum Nachdenken liefert das Urteil keineswegs nur für den Angeklagten.

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