"Die Fronten sind härter geworden"

TRIER. Vor exakt 50 Jahren begann mit der Wahl des damals 27-jährigen Karl Haehser in den rheinland-pfälzischen Landtag eine bemerkenswerte politische Karriere. Nach einem halben Jahrhundert liefert der Rückblick des SPD-Politikers eine interessante Sicht auf die Entwicklung der Politik und des Parlamentarismus.

Karl Haehser ist eine Art lebendes Geschichtsbuch. Kaum schlägt man eine Seite auf, sprudeln Namen und Anekdoten heraus. Persönlichkeiten, die für Normalbürger unendlich weit entfernt liegen, werden bei ihm zu fassbaren Zeitgenossen. Mit Helmut Kohl focht er im Mainzer Landtag ein Duell der jungen Wilden aus, im Bundestag erlebte er noch Konrad Adenauer, mit Carlo Schmid, Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt arbeitete er Hand in Hand. Zahllose Bilddokumente hütet der 77-Jährige in seinem Reihenhaus in Mariahof. Seine Ratschläge sind immer noch gefragt

Die Politik hat ihn nie losgelassen, zum "Elder Statesman", der sich vornehm heraushält, taugt Karl Haehser nicht. Seine Ratschläge sind immer noch gefragt, manchmal auch gefürchtet. Mit seiner Meinung hält er nicht hinterm Berg, weder in Leserbriefen noch in den häuslichen Round-Table-Gesprächen, zu denen er und Ehefrau Anita immer mal wieder einladen. Die Entwicklung des Parlamentarismus, den Niedergang des Ansehens der Politik und ihrer Protagonisten betrachtet er mit Wehmut. "Manchmal hat man das Gefühl, man müsste sich dafür schämen, dass man von Beruf Politiker war", sagt er. Auch wenn er selbst nach eigenem Bekunden in der Öffentlichkeit immer noch freundlichen Zuspruch erhält. Was hat sich geändert in fünf Jahrzehnten? Die menschlichen Fronten seien härter geworden in der Politik, glaubt Haehser. In seinen frühen Landtags-Jahren habe er intensiv und freundschaftlich mit Politikern anderer Fraktionen zusammen gearbeitet, "mit großen Leuten wie van Volxem, Theisen, Piedmont". Heute seien respektvolle Freundschaften über Parteigrenzen hinweg selten, stattdessen herrsche "platte Kumpelei". Auch die Souveränität gegenüber der eigenen Partei habe nachgelassen. Selbst in Zeiten härtester Konfrontation wie 1972, als die CDU Kanzler Willy Brandt per Misstrauensvotum stürzen wollte, sei die Sacharbeit in den Ausschüssen überparteilich weitergelaufen. "Das waren wir den Bürgern schuldig", sagt der damalige SPD-Finanzexperte. Anno 2005 beobachtet Haehser oft parteipolitisch motivierte Blockaden, die Sachentscheidungen überlagern. Das habe nicht erst angefangen, seit die CDU in der Opposition sei, räumt der Sozialdemokrat ein. Aber egal, wer es praktiziere, es komme beim Bürger schlecht an. Ebenso wie der Verfall der Debatten-Kultur. Vereinzelt gebe es noch gute Redner "wie Schröder und Merz", aber meist würden nur vorgefertigte Reden abgelesen, wie kürzlich bei der Antwort von Angela Merkel auf Schröders Regierungserklärung. Das war früher mal anders: "Als Helmut Schmidt Oppositionsführer war, ist er ohne Manuskript nach vorne gegangen und hat aus dem Stegreif auf die Rede des Kanzlers geantwortet." Die heutigen Politiker hätten es freilich "nicht ganz einfach", gesteht ihnen der Ex-Staatssekretär zu, schließlich gebe es "kaum mehr große Themen". Vor allem der Landtag leide unter inhaltlicher Auszehrung. Mangels eigener Themen bete man "oft bundespolitische Debatten nach". Und noch eins schreibt der große alte Mann der Trierer SPD der heutigen Polit-Generation ins Stammbuch: Es werde zu viel über die Medien ausgetragen, statt intern Lösungen zu entwickeln. Heute rede mancher Politiker "mehr mit Journalisten als mit seinen Wählern". Auch das sei ein Grund für das geschrumpfte Ansehen der politischen Klasse, ebenso wie die Skandale um Nebeneinkünfte. Und wie war das, als der Staatssekretär Haehser Aufsichtsratsvorsitzender beim Großkonzern Salzgitter war? 1200 Mark pro Jahr habe er da erhalten, lacht Haehser, und das "konnte man in jeder Bilanz nachlesen". Die Abgeordneten müssten "nicht unbedingt gläsern sein", aber jeder Parlamentarier "sollte doch sagen können, was er verdient und wofür". Für die überwiegende Mehrheit sei das kein Problem, denn "die weitaus meisten sind in Ordnung". Das wird sie beruhigen, die Minister, Staatssekretäre und Abgeordneten von heute, wenn sie ihren politischen Ziehvater am Pfingstsonntag in lockerer Runde ehren. Reichlich SPD-Prominenz wird da sein, und der Jubilar wird, wie gewohnt, sagen, was er meint. Bequem war Karl Haehser nie. Aber in seiner Zeit konnten auch Unbequeme noch was werden in der Politik.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort