"Du gewöhnst dich dran"

TRIER. Das Trierer Landgericht hat einen 40-jährigen Mann wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter zu einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Nervös und mit gesenktem Blick geht Winfried B. vor dem Sitzungssaal 66 immer wieder auf und ab: elf Schritte vor bis zur Wand und dann wieder elf Schritte zurück. Nach schier endlosen 20 Minuten, die sich sein Verteidiger mit dem Gericht und der Staatsanwaltschaft zurückgezogen hat, um über die Bestrafung des 40-Jährigen zu debattieren, kommt Rechtsanwalt Otmar Schaffarczyk aus dem Saal und nimmt seinen Mandanten zur Seite. Kurz darauf die Plädoyers - dann das Urteil: zweieinhalb Jahre Gefängnis. Ohne Bewährung. Winfried B. nimmt den Richterspruch äußerlich regungslos zur Kenntnis, starrt vor sich auf das Pult, wirft nur ab und an einen kurzen, scheuen Blick in Richtung seiner ein paar Meter entfernt sitzenden Tochter. Die 19-Jährige schluchzt. Als Richter Rolf Gabelmann die Verhandlung für beendet erklärt, steht Winfried B. auf und geht langsam auf seine Tochter zu, wohl um sich zu entschuldigen. Das Mädchen wendet sich weinend ab, will ihren Vater nicht sehen und schon gar nicht mit ihm reden. Wer kann es ihr verdenken, nach all dem, was Sonja (Name von der Redaktion geändert) in ihrer Kindheit erleiden musste und was ihr auch heute noch, viele Jahre später, sichtbar zu schaffen macht: "Depressionen, eine gewisse psychische Instabilität, Schuldgefühle und Angstträume", diagnostizierte die Gutachterin bei der jungen Frau - "wegen gewisser Dinge in der Kindheit".Gewisse Dinge in der Kindheit

Die "gewissen Dinge in der Kindheit": Zwischen 1993 und 1996 hat Winfried B. seine Tochter mindestens drei Mal sexuell missbraucht, "wahrscheinlich sogar häufiger", glaubt die Gutachterin. "Du musst dich dran gewöhnen", hat der Vater damals gesagt, als der Neunjährigen während des ersten Missbrauchs schlecht wurde.Erst vier Jahre nach der letzten Tat, Winfried B. hat sich von seiner ersten Ehefrau getrennt, ist wieder verheiratet und hat auch mit seiner zweiten Frau eine Tochter, geht Sonja zur Polizei und erstattet Anzeige. Gegen den eigenen Vater. Winfried B. wird festgenommen, kurz darauf gegen Auflagen aus der Haft entlassen. Zwei Jahre braucht das Trierer Landgericht, um endlich einen Termin für die Hauptverhandlung anzusetzen. "Vorher ging nicht", entschuldigt sich Richter Rolf Gabelmann, "Haftsachen gehen vor."Winfried B. hat sich in Nordrhein-Westfalen mittlerweile eine neue Existenz aufgebaut, lebt mehr schlecht als recht von einer eigenen Container-Agentur. Wie seine Tochter aus erster Ehe, die er so brutal missbrauchte, leidet auch der 40-Jährige an den Spätfolgen: "Tiefe Depressionen, Selbsthass, Selbstmordgedanken", bescheinigt ihm ein psychologisches Gutachten.Weil Winfried B. (anders als bei der polizeilichen Vernehmung) vor Gericht ein umfassendes Geständnis ablegt, bleiben der Tochter quälende Zeugenaussagen erspart. "Ob's gerecht gesühnt ist", sagt Richter Gabelmann nach der Urteilsverkündung, "sei dahingestellt. Der Rechtsfrieden ist zumindest einigermaßen wiederhergestellt."Der Verteidiger des Angeklagten will gegen das Urteil Revision einlegen. Winfried B. bleibt vorläufig auf freiem Fuß.

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