Duell ohne Waffengleichheit

BERLIN. Generaldebatte im Bundestag: Bis zum Herbst vorigen Jahres hatten sich an dieser Stelle immer Gerhard Schröder und Angela Merkel gefetzt. Der SPD-Kanzler ist Geschichte. Jetzt sitzt Merkel auf seinem Platz auf der Regierungsbank.

Früher leerte sich der Bundestag, wenn Wolfgang Gerhardt ans Rednerpult trat. Nach aller Erfahrung ging es dann schon auf Mittag zu, und das rhetorische Feuerwerk war längst abgebrannt. An diesem Mittwoch kann sich der FDP-Fraktionschef über proppenvolle Sitzreihen freuen. Eine ungewöhnliche Situation: Denn Gerhardt darf den in der Vergangenheit als "Elefantenrunde" apostrophierten Schlagabtausch eröffnen, bei dem es traditionell um eine Abrechnung der Opposition mit dem Wirken der Regierung geht.Veränderte Atmosphäre im Plenum

Es ist das erste Mal, dass Angela Merkel, einstige Gegenspielerin der Sozialdemokraten, eine Generaldebatte von der Regierungsbank aus erlebt. Neben ihr hat Franz Müntefering Platz genommen, der seine Nachbarin noch im Bundestagswahlkampf für unfähig hielt, den Regierungsjob zu meistern. Schwamm drüber. Die neue Kuschel-Koalition sorgt für eine völlig veränderte Atomsphäre im Plenum. Wer wollte noch von "Elefanten" sprechen, da die Opposition verschwindend klein und das Regierungslager übermächtig ist? Dem vormaligen Duellcharakter mangelt es schlicht an Waffengleichheit. So fällt Gerhardts Vortrag dann auch kaum auf. Natürlich sucht der Liberale die Regierungspolitik in ihren Fundamenten zu erschüttern. Doch es wird nur ein verbales Lüftchen. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine und sein grüner Amtskollege Fritz Kuhn kommen über Nadelstiche nicht hinaus. Zumal sehr schnell klar ist, dass sich die Opposition selbst im Wege steht. Lafontaines verteilungspolitische Vorstellungen geißelt Kuhn als "ökonomischen Dogmatismus". Dafür wirft der einstige SPD-Chef den Grünen Mitverantwortung bei "völkerrechtswidrigen Kriegen" auf dem Balkan und anderswo vor. Lediglich FDP-Chef Guido Westerwelle bläst kräftig zur Attacke. Seine Rede ist gespickt mit Zitaten aus dem Bundestagswahlkampf, als Franz Müntefering eine Anhebung der Mehrwertsteuer noch als Todesstoß für die Binnennachfrage brandmarkte und Angela Merkel einem großen politischen Wurf das Wort redete, anstatt wie jetzt nur kleinen Schritten. "Angela und Franz, das ist das neue Traumpaar", ruft Westerwelle spöttisch. Dabei können auch alle Harmonie-Beteuerungen der großen Koalition nicht über die Gräben im Regierungsalltag hinwegtäuschen. Pünktlich zur Generalaussprache hatte Franz Müntefering via "Handelsblatt" mitgeteilt, die vereinbarte Gesetzgebung zum Kündigungsschutz wegen notorischer Querschläge aus dem Unionslager zu stoppen. Schritt für Schritt hätten sich die Schwarzen von den entsprechenden Abmachungen in der Koalitionsvereinbarung verabschiedet, klagte der Vizekanzler. So muss Angela Merkel in ihrem Redeauftritt die Rolle des Feuerlöschers übernehmen. Sie erinnert die Koalitionsfraktionen daran, "dass wir nur Dinge tun können, die wir gemeinsam tun". Daher sei es eine Frage der "Verlässlichkeit", den Koalitionsvertrag auch an dieser Stelle umzusetzen. Müntefering findet das Merkel-Plädoyer anschließend "in Ordnung". Streicheleinheiten gibt es auch für Ulla Schmidt, die bei der Suche nach einem Konsens bei der Gesundheitsreform erst einmal ausgesperrt bleibt. In der Tatsache, dass sich die Koalitionsspitzen um das Thema kümmern, sieht Merkel eine "Unterstützung" für die Gesundheitsministerin. Und noch eine zwiespältige Botschaft hat die Kanzlerin parat: Das Gesundheitssystem "wird tendenziell teuer werden". Als die Kanzlerin wieder an ihren Platz geht, brandet bei den Unionsabgeordneten Beifall auf. Bei der SPD rühren sich die Hände in der ersten Reihe eher zum Pflichtapplaus. Dahinter ist es hörbar stiller. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kann daran aber nichts Schlimmes entdecken. Ganz im Gegenteil. "Die Normalität hat Land gewonnen", erläutert er vor Reportern. "Ich finde, der Applaus der SPD war heute stärker als bei früheren Reden von Angela Merkel."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort