EU bremst rollende Geschäfte aus

Ohne sie hätten zehntausende von Dorfbewohnern im Land gar keine Einkaufsmöglichkeit im Ort. Für nicht wenige ältere Kunden ist der Plausch an der mobilen Theke der Höhepunkt des Tages: Rollende Geschäfte bringen in ländlichen Regionen Lebensmittel vor die Haustür. Doch jetzt droht ihnen Gefahr. Eine EU-Verordnung sieht für sie dieselben Regeln vor wie für große LKW. Damit würden sich weite Touren in entlegene Orte nicht mehr lohnen.

 Seit über 20 Jahren fährt Karl Ströder mit dem rollenden Supermarkt durch die Eifel. Foto: Julian Turek

Seit über 20 Jahren fährt Karl Ströder mit dem rollenden Supermarkt durch die Eifel. Foto: Julian Turek

Prüm. Unternehmer Reinhard Steinkamp sieht es so: "Manchmal werden Beschlüsse gefasst, die sind weitab vom Geschehen. So wie jetzt in Brüssel. Da ist das Kind mit dem Bad ausgeschüttet worden", sagt der Inhaber eines Fuhrparks von 60 rollenden Supermärkten mit Sitz in dem kleinen Eifelort Neuendorf nahe Prüm. Jeden Tag sind die 7,5-Tonner der Firma "Heiko" voll beladen unterwegs zu 30 000 Kunden in 1800 kleinen ländlichen Gemeinden zwischen Trier, Koblenz, Aachen, dem Saarland und in Teilen Luxemburgs. Steinkamp geht davon aus, dass er ein Fünftel seiner Touren verkürzen oder ganz streichen muss, wenn die bisher für Verkaufswagen geltende Ausnahmeregelung von den Lenk- und Ruhezeiten für LKW-Fahrer künftig wegfällt. Genau das sieht ein Entwurf vor, mit dem die EU-Fahrpersonal-Verordnung von 2006 in deutsches Recht gegossen werden soll: Wer am Steuer eines Transporters ab 3,5 Tonnen gewerblich unterwegs ist, muss nach 4,5 Stunden Lenkzeit 45 Minuten Pause einlegen, in der nicht verkauft werden darf. Und er darf am Tag in der Regel nicht länger als neun Stunden chauffieren. Zudem muss in alle neueren Fahrzeuge ein elektronischer Fahrtenschreiber für mindestens 1500 Euro eingebaut sein, der mit speziellen Computerprogrammen regelmäßig ausgewertet wird. Erleichterung für andere Branchen

Was die Betreiber von Verkaufswagen ganz besonders wurmt: Anderen Branchen beschert die geplante Verordnung Erleichterungen. Beispielsweise können Handwerksbetriebe ihre Werkzeuge und Materialien künftig ohne Lenkzeitbegrenzung quer durch die Republik transportieren, solange sie das in Wagen unter 3,5 Tonnen Gesamtgewicht tun. Bisher gelten die Höchst-Lenkzeiten schon ab 2,8 Tonnen und 50 Kilometer Fahrstrecke. Auch waren andere Lobbygruppen beim Durchsetzen von Ausnahmen für die nationale Verordnung schon erfolgreich. Unter anderem sollen landwirtschaftliche und Behörden-Fahrzeuge, Milchsammler sowie Paketdienste außen vor bleiben - Ausnahmen also gerade für Langfahrer, während laut Steinkamp ein Verkaufslaster nur während 40 Prozent seiner Arbeitszeit tatsächlich fährt. Der Bundesverband Lebensmittelhandel fordert denn auch eine Ausnahmeregelung für die bundesweit 1800 rollenden Supermärkte, Bäckereien, Metzgereien und kleinen Eierlaster. Am Mittwoch befasst sich der Verkehrsausschuss im Bundesrat mit der Verordnung. Im Vorfeld warnen die CDU-Mittelstands- und Wirtschaftsunion sowie Landtagsabgeordnete vor Bürokratie und Mehrkosten. "Der Gesetzgeber darf die rollenden Supermärkte nicht mit unnötigen Vorschriften ausbremsen", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der Landtagsfraktion Walter Wirz. "Das würde die wirtschaftliche Entwicklung der mittelständischen Unternehmen existenziell gefährden." Das Ministerium in Mainz will einen Änderungsvorschlag aus Hessen abwarten und sich dazu positionieren. Die Schwierigkeit bestehe darin, die Ausnahmen für Mittelständler so zu formulieren, dass nicht weitere Gruppen auf Gleichbehandlung drängen, etwa die Lebensmittel-Discounter. Bisher hat Minister Hendrik Hering (SPD) nur allgemein zugesagt, "im Bereich der Nahversorgung existierende Lösungsansätze wie mobile Versorgungsangebote" zu unterstützen. "Heiko"-Inhaber Steinkamp setzt darauf: "Wir können keinen zweiten Fahrer mitschicken, um nach neun Stunden zu wechseln." Solche Touren wären unrentabel. Für die Orte, die dann nicht mehr angefahren würden, wäre dies auch ein sozialer Verlust: "81 Prozent haben kein Geschäft mehr, das Durchschnittsalter unserer Stammkunden liegt bei 73 Jahren." Einigen Hochbetagten würde der menschliche Kontakt fehlen: "Wenn keiner mehr da ist, der helfen kann, räumt der Fahrer den Kühlschrank ein."

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