Ein Kopfschuss und viele Fragezeichen

LUXEMBURG. Auch mehr als eine Woche nach dem Schuss aus einer Polizeiwaffe schwebt der bei einer Fahrzeugkontrolle im Norden Luxemburgs schwer verletzte Landwirt noch in Lebensgefahr. Derweil gibt es beinahe täglich neue Vorwürfe gegen die Police Grand-Ducale. Aus dem Zwischenfall könnte ein Polizei-Skandal werden.

Glaubt man der offiziellen Darstellung, handelten die beiden luxemburgischen Polizisten an jenem frühen Samstagmorgen vor anderthalb Wochen in Notwehr. Kurz vor halb fünf hatten die beiden Ulflinger Beamten im Norden des Großherzogtums einen Schlangenlinien fahrenden Wagen gestoppt, dessen Lenker offenbar betrunken war. Im Gespräch, heißt es im Polizeibericht, sei der Mann immer aggressiver geworden, bis er - an einer Hand bereits mit einer Handschelle gefesselt - wutentbrannt auf einen Beamten losgegangen sei. Dem Polizisten sei es noch gelungen, seine Waffe zu ziehen und zu schießen, "wobei der Angreifer am Kopf verletzt wurde". Seitdem ringt der zweifache Familienvater in einer luxemburgischen Klinik mit dem Tod. Nach Aussagen des Anwalts der Familie haben die Ärzte den Landwirt in ein künstliches Koma versetzt. Angeblich wurde er von einem Streifschuss getroffen, Patronenpartikel oder Knochensplitter seien dabei ins Gehirn eingedrungen. Zweifel an der Darstellung der Polizisten

Weil sich der 46-Jährige selbst nicht äußern kann und ungewiss ist, ob er sich jemals erholen wird, kapriziert sich derzeit alles auf die offizielle Darstellung der Polizei. Allerdings gibt es vermehrt Zweifel, dass es wirklich genau so gewesen ist beziehungsweise es keine andere Möglichkeit gab, den angeblich randalierenden Mann ruhigzustellen. Dass die Ehefrau des Landwirts der offiziellen Version nicht glaubt ("Wer meinen Mann kennt, weiß, dass er nicht randaliert"), mag noch verständlich sein. Doch beinahe täglich berichten die luxemburgischen Medien jetzt über Zeugen oder andere Vorfälle, die zumindest geeignet sind, die Glaubwürdigkeit der Police Grand-Ducale zu erschüttern. Zuletzt meldeten sich die Wirtin und ein Gast der Kneipe zu Wort, in der der Landwirt vor dem Zwischenfall Bier getrunken hatte. Nach den Schilderungen hatten die beiden Ulflinger Polizisten das Lokal "Beim Doris" um kurz vor vier Uhr betreten, weil es trotz Sperrstunde noch offen gewesen sei. "Einer der beiden war sofort radikal und frech. Er hat sowohl mich selbst als auch die Gäste angebrüllt", sagte die Wirtin einer luxemburgischen Tageszeitung. Nach Schließung des Lokals seien die Beamten weggefahren und hätten nach einigen hundert Metern angehalten, um den Landwirt, der ebenfalls die Gaststätte verlassen habe, abzupassen. Behauptungen, die René Lindenlaub nicht kommentieren will. Ansonsten verweist der Polizei-Sprecher auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die interne Untersuchung der Polizei. Ähnlich zurückhaltend ist die zuständige Diekircher Staatsanwaltschaft. "Die Untersuchung ist noch ganz am Anfang", meint eine Sprecherin, "mehr sagen wir dazu nicht". Von einem Skandal spricht dagegen bereits Rechtsanwalt Daniel Baulisch, der die Familie des schwer verletzten Landwirts vertritt. Ob sich der Vorfall wirklich so zugetragen habe wie von der Polizei geschildert, sei noch lange nicht bewiesen. Er glaube jedenfalls nicht, dass die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt worden sei. "Die Waffe darf nur in einer absoluten Notsituation benutzt werden." Vorwürfe, luxemburgische Polizisten griffen womöglich vorschnell zur Waffe, weist Sprecher René Lindenlaub zurück. "Wir haben jährlich 35 000 Einsätze, aber höchstens in ein, zwei Fällen kommt es dabei zum Schusswaffengebrauch", sagt er. Spuren hinterlassen hat der Einsatz derweil auch bei dem Beamten, der in jener Nacht geschossen hat. Es sei dienstunfähig und befinde sich in psychologischer Behandlung, sagt der Polizeisprecher.

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