"Ein richtig netter Kerl"

MAINZ. Der Besuch eines Staatsoberhauptes kann unkompliziert sein. Diese Erfahrung durften Ministerriege, Landespolitiker und die Stadt Mainz bei der Antrittsvisite von Bundespräsident Horst Köhler in Rheinland-Pfalz machen. Vierzehn Tage vorher galt beim Besuch von US-Präsident George W. Bush wegen beispielloser Sicherheitsauflagen noch der Ausnahmezustand.

Keine Autobahnsperrung, kein Sicherheitskorridor und kein pompöses Protokoll, auch wenn bis zur letzten Minute noch mit einem widerspenstigen roten Teppich gekämpft wird: Die zufällig vorbei kommenden Passanten staunen nicht schlecht, als nur wenige Meter vor ihnen der Bundespräsident mit seiner Frau Eva Luise aus der dunklen Limousine steigt und von einer kleinen Delegation vor der Mainzer Staatskanzlei begrüßt wird. Ein strahlender Ministerpräsident Kurt Beck und ein zurückhaltend-freundlicher "erster Mann im Staat" schauen in die Runde. Ein "Guten Tag" in Richtung der Kiebitze im Empfangsbereich der Regierungszentrale, dann lockert Applaus die noch etwas steife Willkommens-Zeremonie. Als Bundespräsident ist Horst Köhler nicht das erste Mal in Mainz, schließlich hat er hier bereits vor Monaten den Naturschutzpreis an Loki Schmidt verliehen. Doch Terminprobleme haben dafür gesorgt, dass Rheinland-Pfalz mit dem 14. Antrittsbesuch in einem Bundesland "fast am Ende meiner Vorstellungstour liegt", wie der frühere Direktor des Weltwährungsfonds anmerkt, der vor zehn Monaten von CDU und FDP in sein neues Staatsamt gewählt wurde. Als Baden-Württemberger ist ihm der rechtsrheinische Nachbar "etwas vertraut". Er schätzt dessen Wein und verfolgt offenbar interessiert die rheinland-pfälzische Bildungspolitik, die nach seinen Worten "besonders auffällt". Auch die Probleme des Truppenabzugs und der damit verbundene Strukturwandel, den das Land nach seiner Einschätzung ohne "großes Tamtam" bewältigt, sind ihm bekannt. "Rheinland-Pfalz ist in Bewegung", lobt Horst Köhler und vermittelt glaubhaft das Gefühl, dass er gerne zu Besuch ist. Vor allem mit Menschen reden und zuhören will der Bundespräsident, wenn er in der Republik unterwegs ist. Doch beim Rheinland-Pfalz-Besuch fordert erst einmal die Politik ihr Recht. Im Landtag trifft das Staatsoberhaupt zwar die zufällig tagenden Bildungsreferenten der Parlamente, die über Perspektiven der politischen Jugendbildung reden, für einen Austausch bleibt jedoch keine Zeit. Das Protokoll drängt und verweist auf viele wartende Gesprächspartner im Laufe des Tages. Im Plenarsaal zeigt Landtagspräsident Christoph Grimm stolz die ausgestellte Hambacher Fahne von 1832, unter deren schwarz-rot-goldenem Banner Tausende auf dem Schloss in der Pfalz ein freies und einiges Deutschland forderten. Auf Hambach könne Deutschland stolz sein, erwidert Köhler, ohne die weiteren Annehmlichkeiten aus dem Auge zu verlieren. "Jetzt möchte ich den Wein geschenkt bekommen", so die freundliche Ermunterung angesichts der bereitstehenden hölzernen Kiste. Rebensaft aus allen sechs Anbaugebieten überreicht Grimm – nicht ohne den Hinweis, dass im Land nicht nur viel, sondern auch der beste Wein angebaut wird. Nach dem anschließenden halbstündigen Gespräch mit Landtagspräsidium und Fraktionsspitzen mit dem Bundespräsidenten zeigen sich SPD-Fraktionschef Joachim Mertes und CDU-Vorsitzender Christoph Böhr gleichermaßen beeindruckt. Ohne politische Floskeln und vorgestanzte Formulierung habe der Präsident unter anderem darüber geredet, wie Jugendliche für die Gesellschaft zu gewinnen seien. Keine Gespreiztheit, keine Attitüden. "Das ist ein richtig netter Kerl", so ihr gemeinsames Fazit.

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