Eine Frage der Ehre

Berlin · Lange Zeit war der Streit um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker ein ungleiches Duell. Jetzt fängt Berlin an, sich zu wehren.

Berlin (dpa) Antidemokratisch, Nazi-Methoden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Unterstützung von Terroristen: Warum lässt sich die Bundesregierung all diese Vorwürfe der türkischen Regierung im Streit um Wahlkampfauftritte gefallen? Jetzt macht Kanzleramtsminister Peter Altmaier klar, dass man sich nicht alles gefallen lassen wird. Er droht der türkischen Regierung. Warum gerade jetzt? Die Verbalattacken der türkischen Regierung gegen Deutschland haben eine neue Dimension erreicht. Erst wurde der Bundesregierung nur antidemokratisches Verhalten vorgeworfen, dann folgten die Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Am Montagabend griff Präsident Recep Tayyip Erdogan die Bundeskanzlerin persönlich an. "Verehrte Merkel, Du unterstützt Terroristen", sagte Erdogan. Und: "Schande über Dich!"Womit droht Altmaier? Mit einem Einreiseverbot, so wie es die Niederlande gegen türkische Wahlkämpfer verhängt hat. Die Bundesregierung hat bisher auf ein solches Verbot verzichtet. Dafür gibt es zwei Gründe: Sie fordert selbst von der Türkei Meinungsfreiheit und will deswegen nicht in den Verdacht geraten, diese Freiheit in Deutschland in irgendeiner Weise zu beschränken. Außerdem geht die Regierung davon aus, dass ein Einreiseverbot Erdogan im Wahlkampf eher nutzen würde.Treffen die Gründe nicht mehr zu? Doch. Aber mit den persönlichen Angriffen auf Merkel scheint die Schmerzgrenze überschritten zu sein. "Die Türkei legt immer großen Wert darauf, dass die Ehre ihres Landes nicht verletzt wird. Auch Deutschland hat eine Ehre!", sagt Altmaier.Hat die Bundesregierung schon vorher eine rote Linie gezogen? Ja. "Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf", sagte Außenminister Sigmar Gabriel Anfang vergangener Woche nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu. Er meinte die Nazi-Vergleiche, die aufhören müssten. Hat sich die türkische Regierung davon beeindrucken lassen? Nein. Cavusoglu verteidigte die Nazi-Vergleiche nur kurze Zeit später. Und auch Erdogan denkt gar nicht daran, davon abzulassen. "Der Geist des Faschismus geht um in den Straßen Europas", sagte er erst am Mittwoch wieder bei einer Rede in einer zentraltürkischen Provinz. Auch von der Drohung eines Einreiseverbots wird sich Erdogan deswegen wohl kaum beeindrucken lassen. Der Konflikt mit den EU-Staaten nutzt ihm im Wahlkampf um die Verfassungsreform, die ihm mehr Macht geben soll. Das hat für Erdogan derzeit absolute Priorität.Will er selbst in Deutschland auftreten? Er behält sich einen solchen Auftritt vor. "Wenn ich will, dann komme ich auch", sagte er vor einigen Tagen. "Und wenn Ihr mich nicht durch die Türe lasst oder mich nicht reden lasst, dann werde ich die Welt aufstehen lassen."Was wäre, wenn Erdogan seine Nazi-Vergleiche in Deutschland wiederholen würde? Das könnte gegen das Strafgesetzbuch verstoßen. Nach Paragraf 90a macht sich strafbar, wer Deutschland oder seine Verfassung "beschimpft oder böswillig verächtlich macht". Ihm drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Auf diesen Paragrafen weisen sowohl Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als auch das Auswärtige Amt im Zusammenhang mit dem Wahlkampfstreit hin. Erdogan würde als Staatsoberhaupt allerdings Immunität genießen und wäre vor Be-strafung geschützt. KommentarMeinung

Das Recht einer freien WahlNoch gehen selbst Kritiker der türkischen Regierung davon aus, dass die Abstimmung über das Verfassungsreferendum weitgehend fair und korrekt verlaufen wird. Insofern gab es für die Bundesregierung keinen Grund, den Deutsch-Türken hierzulande die Teilnahme daran zu verwehren. Den Genehmigungsbescheid aus Berlin darf man nun allerdings Erdogan und seiner Clique vorhalten, die mit wüsten und großmäuligen Beschimpfungen nur so um sich werfen. Hierzulande darf jeder seine Meinung sagen, selbst Erdogan, wenn er sich an die Regeln hält. Und hier darf jeder wählen, so lange die Wahl frei ist. An diesem Punkt freilich ist eine Einschränkung vorzunehmen: Für den Fall, dass Erdogan sein Präsidialsystem tatsächlich durchsetzt, muss es die letzte Genehmigung dieser Art gewesen sein. Denn was danach kommt, werden nur noch Scheinwahlen zur Bestätigung einer faktischen Diktatur sein. Dafür muss kein Land die Hand zu Hilfe reichen. nachrichten.red@volksfreund.de

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