Einfacher, niedriger und gerechter?
Union und FDP peilen spätestens von 2011 an weitere umfangreiche Entlastungen bei der Einkommenssteuer an. Über Details wird weiter gestritten.
Berlin. Als sich die Unterhändler der Arbeitsgruppe Finanzen gestern ihren Weg durch die Journalisten bahnten, um in der hessischen Landesvertretung erneut über Entlastungen für die Bürger zu brüten, mussten sie auch an einem Demonstranten vorbei. Der hatte sich als Baron Münchhausen verkleidet und spielte immer wieder ein Band mit der Stimme von FDP-Chef Guido Westerwelle ab: "Wir werden einen Koalitionsvertrag nur unterschreiben, wenn darin ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem enthalten ist".
Die liberalen Abgesandten würdigten den Mann kaum eines Blickes. Aber an ihren Gesichtern war abzulesen, dass zwischen wohliger Theorie und nüchterner Praxis doch ein gewisser Zwiespalt klafft. Nach dem Willen der FDP soll die Steuerentlastung satte 35 Milliarden Euro betragen. Pro Jahr wohlgemerkt. So steht es in ihrem Wahlprogramm. Die programmatischen Aussagen von CDU und CSU sind dagegen deutlich schwammiger. Jüngst geisterte eine Größenordnung von 20 Milliarden Euro, welche die CDU angeblich mittragen könnte, durch die Gazetten. Aber wohlgemerkt: bis einschließlich 2013. Pro Jahr wären das also gerade einmal fünf Milliarden Euro. Schon diese Rechnung zeigt, dass der Weg zu einer Einigung steinig ist. Wer sich mit den zuständigen Liberalen unterhält, bekommt jedoch zu hören, dass über konkrete Entlastungsbeträge zumindest in der Arbeitsgruppe gar nicht gesprochen wurde. "Alle Zahlen, die im Umlauf sind, sind falsch." Einvernehmen bestehe aber darüber, dass es einen "großen Aufschlag" zu Beginn des kommenden Jahres geben werde. Nach Darstellung von CSU-Chef Horst Seehofer soll es allerdings erst 2011 zu Einkommenssteuersenkungen kommen. Die FDP hält in diesem Zusammenhang eine Steuerstrukturreform für unerlässlich. Dadurch soll die sogenannte kalte Progression erheblich abgemildert werden, bei der, vereinfacht gesagt, jeder Lohnzuwachs in steigendem Maße beim Finanzamt landet. Der entsprechende Stufentarif der Liberalen würde jedoch riesige Löcher in das ohnehin schon dezimierte Steuraufkommen reißen, mit dem die staatlichen Aufgaben finanziert werden.
Der "große Aufschlag" würde ziemlich teuer
Nach vorsichtigen Schätzungen fehlen bereits jetzt bis Ende 2013 rund 30 Milliarden Euro in der Bundeskasse. Die traditionelle Methode, Schulden durch neue Schulden auszugleichen, haben sich Union und FDP selbst verbaut, indem sie für die Verankerung einer Schuldenbremse im Grundgesetz stimmten. Danach darf sich der Bundeshaushalt ab 2016 grundsätzlich nur noch mit maximal 0,35 Prozent vom Bruttosozialprodukt neu verschulden. Das wären nach heutigem Stand nur acht Milliarden Euro. Allein 2010 ist aber mindestens das Zehnfache an neuen Krediten nötig, um den Bundeshaushalt zu finanzieren. Käme der schon zitierte "große Aufschlag" hinzu, dann müsste in den Folgejahren bis 2016 umso stärker gespart - und wohl auch getrickst werden.
Bislang hat die Arbeitsgruppe Finanzen am Ende nur auf Nebenkriegsschauplätzen echte Einigkeit erzielt. So soll der Steuerberater künftig wieder voll beim Finanzamt geltend gemacht werden können. Zudem soll die Absetzbarkeit der Ausbildungskosten vereinfacht werden. Die zentrale Entscheidung über Steuersenkungen wird nun die große Runde unter Leitung der drei Parteichefs fällen müssen. Sie tagt ab morgen bis zum Wochenende. Voraussichtlich Mittwoch nächster Woche will sich Angela Merkel dann im Bundestag erneut zur Kanzlerin wählen lassen.
Meinung
Tarnen und täuschen
Seit gut zwei Wochen kämpfen sich Union und FDP jetzt durch das Unterholz der politischen Sachthemen. Aber der entscheidende Durchbruch steht noch aus: Was wird aus den angekündigten Steuersenkungen? An dieser Frage wird die Glaubwürdigkeit besonders der FDP gemessen werden. Mit ihren radikalen Wahlversprechen auf diesem Feld haben sich die Liberalen selbst unter enormen Druck gesetzt. Spürbare Entlastungen für die Bürger bei gleichzeitiger Haushaltssanierung und deutlich höheren Ausgaben für die Bildung, all das zusammen erinnert an die berühmte Quadratur des Kreises. Eine Lösung, die bis auf weiteres den öffentlichen Erwartungen genügt, lässt sich wohl nur finden, wenn die künftigen Koalitionäre eine militärische Grundregel anwenden: tarnen und täuschen. Bezogen auf die Finanzpolitik heißt das, plakative Entlastungen werden kommen, die Rechnung folgt später. Eine Wahlperiode umfasst bekanntlich vier Jahre. Da muss der Beitrag etwa für die Arbeitslosenversicherung nicht gleich im ersten steigen. Auch ließe sich zum Beispiel die erwartete Milliardenlücke bei der Bundesagentur für Arbeit geräuschlos in einen Schattenhaushalt transferieren. Damit wären die Schulden zwar nicht verschwunden, wohl aber dem Rechenwerk des laufenden Bundesetats entzogen. In einem Punkt hat die FDP allerdings schon jetzt die Maske fallenlassen: Dank ihres Einsatzes werden die Kosten für den Steuerberater demnächst wieder voll absetzbar sein. Im Wahlkampf hatten die Liberalen auf ein "niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem" gepocht. Da müsste sich der Steuerberater eigentlich erübrigen. Dass er nun ausdrücklich gestärkt wird, zeigt, wie die FDP zu ihren eigenen Versprechen steht. nachrichten.red@volksfreund.de