Elfenbeinturm ade

TRIER/OTZENHAUSEN. Auf den Spurten von Valéry Giscard-d'Estaing: In einem mehrtägigen Seminar haben angehende Politikwissenschaftler unter den gleichen Bedingungen wie das Europäische Konvent eine Verfassung für Europa erarbeitet.

Im großen Sitzungssaal der Europäischen Akademie in Otzenhausen wird aufgeregt diskutiert. Es geht um Fragen wie "Welche Kompetenzen hat der Europäische Gerichtshof in Zukunft?" oder: "Wie wird die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU gestaltet?". Romain Kirt, Regierungsbeamter in Luxemburg, und Professor Hanns W. Maull von der Universität Trier leiten die Runde. Immer wieder kommen nach Vorschlägen der Referenten Einwürfe der zirka 30 Plenumsmitglieder, allesamt Studenten, deren Auftrag es ist, eine Verfassung für die Europäische Union auszuarbeiten. Verschiedene Arbeitsgruppen beschäftigen sich etwa mit dem neuen Institutionengefüge oder den Grundrechten und der Verfassung der EU. Bei der Präsentation ihrer Vorschläge werden die Referenten teilweise heftig von den übrigen Teilnehmern kritisiert. "Was passiert in einem nationalen Verteidigungsfall? Steht dann die Union automatisch in der Pflicht?", bemerkt ein Teilnehmer bei der Vorstellung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Manche Themen wie das vorgesehene neue Institutionengefüge lösen heftige Wortgefechte aus und spalten die Teilnehmerrunde in mehrere Gruppen. Am Ende einigen sich die angehenden Politologen auf ein neues System, das neben dem bereits bestehenden Europäischen Parlament einen Europäischen Senat vorsieht. Der Senat und das Parlament bilden dem Vorschlag nach gemeinsam die Legislative der Union. In der von den Studenten geschaffenen Verfassung ist der Senat mit dem Parlament gleichberechtigt, die Anzahl der Senatsmitglieder pro Staat richtet sich nach der jeweiligen Bevölkerungsgröße. Die exekutive Gewalt bleibt bei der Europäischen Kommission, die judikative beim Europäischen Gerichtshof. Auf einen Namen für das vereinte Europa konnten sich die Studenten noch nicht einigen, Deutsch soll neben Französisch und Englisch dritte Amtssprache werden. Nach zwei anstrengenden und arbeitsreichen Tagen schließt Ro-main Kirt das Seminar mit folgenden Worten: "Bei jedem Gipfel gibt es Gewinner und Verlierer. Aber jedes Mal fährt man nach Hause und verteidigt das Ergebnis." Die Studenten, die bei dem zweitägigen Seminar unter professionellen Bedingungen gearbeitet haben, waren von der außergewöhnlichen Studienform beeindruckt. "Die Rahmenbedingungen waren etwas Besonderes. Ich denke, durch diese Veranstaltungsform haben wir einen Eindruck davon bekommen, wie solche Sitzungen in der Realität ablaufen", sagt ein Teilnehmer. Die Grundlagen zur Erarbeitung einer Verfassung wurden den Studenten im Laufe des Semesters in dem Seminar von Professor Maull vermittelt. "Wir hatten für unsere Verfassung die gleichen Voraussetzungen wie das Europäische Konvent und haben auf den gleichen Grundlagen unsere Vorschläge erarbeitet", erläutert der Universitätsdozent. Die Ergebnisse werden an den luxemburgischen Politiker Jacques Santer übermittelt, der Mitglied im Europäischen Konvent ist - und damit bis zur endgültigen Veröffentlichung der Verfassung die gleichen Fragen diskutiert wie die Trierer Studenten. Die jungen Politologen stellen ihre Arbeit am Mittwoch, 12. Februar, ab 18 Uhr im Hörsaal 2 der Uni Trier vor.

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