Explosive Gedanken

Die wegen der Tötung ihres viereinhalb Monate alten Sohns vor Gericht stehende Irina K. hat wegen familiärer Probleme mehrfach Kontakt zu einer "Heilerin" aufgenommen. Doch auch die selbst ernannte Psychologin kann sich die Tat nicht erklären. "Es muss eine Explosion gewesen sein", meint die 49-Jährige.

Trier. Die "Heilerin" hat am Mittwochmorgen kaum im Zeugenstand Platz genommen, da hält die 49-Jährige ein reisepassähnliches, blaues "Dokument" in die Höhe. "Ich möchte vorab etwas klären", sagt sie, während die Dolmetscherin das Dokument nach vorne zur Richterbank bringt. "Ausbildungszentrum Astral, Diplom, ausgestellt im April 1995", liest der Vorsitzende Richter Armin Hardt die Übersetzung vor. Und: Es wurden "Kurse in bioenergetischen Methoden der Heilkunst absolviert". Bioenergie, erklärt die im Hunsrück wohnende Heilerin der etwas verdutzt dreinschauenden Kammer, "ist saubere Energie, von Natur aus". Dazu kämen "Gebete und physikalische Energie". Die Kammer schaut immer noch nicht wesentlich schlauer, weshalb die Dame mit den angeblich übernatürlichen Kräften noch einmal nachlegt: "In Russland ist das sehr verbreitet", sagt sie, "hier verstehen die Leute das anders."Die ausführliche Vorab-Erklärung über ihr "Hobby", wie sie selbst sagt, ist der Frau offenbar ein Bedürfnis. Womöglich eine Reaktion auf die teilweise harsche Kritik von Irinas Ehemann, der Schwägerin und den Schwiegereltern am vorangegangenen Prozesstag. "Wir denken, dass diese Wunderheilerin schuldig ist", hatte der Ehemann der Angeklagten da gesagt. Und die Schwägerin: "Ich glaube, dass alles passiert ist, weil Irina diese Heilerin besucht hat.""Sie hat das Kind geliebt"

Jetzt sitzt die 49-Jährige da und erklärt den Prozessbeteiligten teilweise ausschweifend ihre ungewöhnliche Profession und die Kontakte zur Angeklagten. Irina hatte sich im vergangenen Jahr an die Heilerin gewandt, weil der kleine Christian so unruhig war und der Ehemann bisweilen jähzornig. "Schlechte Energie", lautete schließlich eine "Diagnose" nach diversen Séancen (Kosten: 30 Euro pro Sitzung) mit den Beteiligten, bei denen die Hunsrück-Heilerin auch schon mal die Hände auf "wichtige energetische Zonen" ihrer Patienten legt. Eine andere "Diagnose": Das Kind sei "erschrocken". Der kleine Christian habe die Spannungen zwischen Vater und Mutter gespürt und sei deshalb oft so unruhig gewesen. Mit Gebeten "besprochenes" Wasser und eine Topfpflanze sollten das Unheil lindern, empfahl die Heilerin. "Das Wasser kann sich Informationen merken", behauptet die Frau, "und die Pflanze nimmt schmutzige Energie auf." Ende vergangenen Jahres, etwa sechs Wochen vor dem gewaltsamen Tod Christians, hatte die Angeklagte das letzte Mal Kontakt zu der Heilerin. Warum Irina K. den eigenen Sohn getötet haben soll, kann sich auch die 49-Jährige nicht erklären: "Sie hat das Kind geliebt."

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