Familientreffen mit Polit-Einlagen

TRIER. Mit einer Mischung aus politischer Kundgebung und Familien-Ausflug lockte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 8000 Arbeitnehmer aus Rheinland-Pfalz, Luxemburg und Lothringen am 1. Mai auf die Landesgartenschau (LGS).

"Ein Glück, dass wir die Luxemburger und die Franzosen haben." Die ältere Dame mit dem kleinen Gewerkschaftswimpel freut sich über die Kollegen aus Lothringen und dem Ländchen, die massenhaft mit flatternden Organisations-Fahnen auf den staubigen LGS-Festplatz einziehen und die vorderen Reihen erobern. "Wir Deutschen haben es ja nicht so mit den Fahnen", sagt sie lachend und deutet mit dem Kopf ins unbeflaggte Rund, wo sich die Atmosphäre eines Familientreffens breit macht.Alte Traditionen, neue Bündnisse

Dabei hatte der lange Weg auf den Petrisberg, den die meisten zurückgelegt haben, etwas von einer unfreiwilligen Groß-Demo. Schon an der Kohlenstraße spucken die prall besetzten Sonderbusse der Stadtwerke im Fünf-Minuten-Rhythmus die Kundgebungsteilnehmer aus, mehr als einen Kilometer vom LGS-Eingang entfernt. Dann pilgern die Massen wie eine Ameisenherde über die Fußgängerwege, vorbei an leeren Parkplätzen, überholt von den Shuttle-Bussen der Gartenschau, die direkt bis zum Kassenhäuschen fahren. Aber diese Form von Zwei-Klassen-Gesellschaft regt keinen auf, anders als jene, die die Redner später anprangern werden. Mit Samba-Rhythmen und Folkpop-Klängen werden die Ankömmlinge auf die kommenden Ereignisse eingestimmt, deren Beginn sich leicht verzögert. Eine ökumenische Andacht leitet die Kundgebung ein und dokumentiert - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - neue Bündnisse: Der Papst, die Evangelische Kirchengemeinde oder die Globalisierungskritiker von Attac stehen gewerkschaftlichen Positionen inzwischen um Welten näher als Bundeskanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Das wird besonders deutlich bei der Rede von Jean-Claude Reding, dem Vorsitzenden des Interregionalen Gewerkschaftsrats. Der Luxemburger ist ein Arbeitervertreter von altem Schrot und Korn, nicht nur aufgrund des knallroten Parkas und des mächtigen 60er-Jahre-Vollbarts. Er geißelt das "globale Monopoly-Spiel", beschwört das "Gespenst der Angst", das in Europa umgehe und schimpft über "Regierungen, die alles der Wettbewerbsfähigkeit opfern". Jeder Satz eine fundamentale Attacke gegen die sozialdemokratischen Modernisierer - was die versammelte lokale SPD-Prominenz nicht davon abhält, sich kräftig am kollektiven Beifall zu beteiligen. Gerne hätte man die Reaktion von Haupt-Festredner Kurt Beck beobachtet, aber die Gnade des späten Eintreffens erspart ihm die Auseinandersetzung mit der Grundsatz-Kritik. Die anschließende, in Inhalt und Formulierung gemäßigte Ansprache des rheinland-pfälzischen DGB-Landesvorsitzenden Dietmar Muscheid, ist kaum geeignet, die Laune des Ministerpräsidenten zu beeinträchtigen.Polit-Profi Kurt Beck bügelt Protestler ab

Muscheid, schon im Habitus mit schickem Anzug und modischem Hemd samt sorgfältig abgestimmter Krawatte der schärfste denkbare Kontrast zu seinem Luxemburger Kollegen, schimpft auf George Bush und "jene, die Deutschland schlechter reden als es ist". Da klatscht auch Beck immer wieder eifrig mit. Sogar als der Gewerkschafter vorsichtig den Begriff vom "Gerechtigkeitsproblem mit der Politik in diesem Land" einflicht, holt der Ministerpräsident schon aus, wandelt aber den Beifall in letzter Sekunde in ein neutrales Händereiben um - man weiß ja nie, wer es registriert. Als Beck dann selbst ans Mikrofon tritt, macht sich leichter Unmut breit. Die Verdi-Jugend fordert per Transparent eine Ausbildungs-Umlage, andere pusten in Trillerpfeifen. Routinemäßig bügelt der Polit-Profi die Protestler ab. Mehr als eine halbe Stunde redet der Ministerpräsident, wirbt ruhig und sachlich für seine Positionen. Wer die Solidarsysteme erhalten wolle, komme um mancherlei "Zumutungen" nicht herum, sagt Beck ehrlich. Geschickt flicht er ein, dass er schließlich selbst Kassenpatient sei und die Probleme kenne. Aber bei manchen Dingen müsse man eben Abstriche machen. Am Ende, die Protestler sind längst müde, wagt er sich sogar an Reizthemen wie die Ausbildungsumlage oder die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst. Aber da hat die Masse des Publikums sich längst in Richtung der Tore zum LGS-Gelände orientiert. Essensmärkchen werden abgeholt, Ehepartner und Kinder in Rufbereitschaft versetzt, schließlich will man den Zeitpunkt nicht verpassen, wenn die rabattierten Kundgebungs-Tickets endlich den Zutritt zur Gartenschau erlauben. "8000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren dabei, als Kurt Beck gesprochen hat", skandiert RPR-Moderator Thomas Vatheuer über die mächtigen Verstärkerboxen den Enteilenden hinterher. Ein paar Minuten später sind sie im Getümmel der Gartenschau verschwunden.

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