Gerechtigkeit im Halbstundentakt

TRIER. Hausfriedensbruch, Diebstahl, Verkehrsdelikte, Körperverletzung: Bei Richter Wolf-Dietrich Strick am Trierer Amtsgericht läuft die Alltags-Kriminalität auf.

Nein, wie ein Gerichtssaal sieht das beim besten Willen nicht aus. Eher wie ein Warteraum von der ungemütlichen Sorte. Wohnzimmergroß, mit weißgekalkten Wänden. Kein erhöhter Richtertisch wie beim "großen" Landgericht, kein Sicherheitsabstand zwischen Anklagebank und Zeugenstand.Aber im Moment spielt das ohnehin keine Rolle. Als Richter Strick morgens um halb neun das Verfahren eröffnen will, gibt es vom Angeklagten keine Spur. Der Anwalt murmelt was von "keinen Kontakt gehabt". Der Delinquent kommt aus dem Obdachlosen-Milieu, ob er sich drückt oder das Verfahren einfach vergessen hat, weiß keiner. Verbotswidrige Übernachtungen, Ladendiebstähle - nicht die Welt. Trotzdem: Der Richter erlässt einen Haftbefehl. Nicht zornesbebend ob der Missachtung des Gerichts, sondern aus der Erfahrung heraus, dass er seinen Kandidaten sonst womöglich noch öfter vergeblich zur Verhandlung bittet.Und unnötiger Arbeitsaufwand ist das letzte, was ein Einzelrichter am Amtsgericht brauchen kann. 538 Anklagen hat Strick im vergangenen Jahr bearbeitet. Dienstags und donnerstags verhandelt er ganztägig, mittwochs bleibt Raum für Eilsachen.Zwischen Eilsachen und "Nachgesang"

Auf 60 Prozent schätzt er den Anteil, den die Sitzungen von seiner Arbeitskraft beanspruchen. Der Rest geht drauf für den "Nachgesang", wie er es nennt, das Absetzen der Urteile, die Prüfung von Bewährungen, die Planung von Terminen.Im Moment ist er "bis Ende April austerminiert". Will heißen: Ein Verfahren, das jetzt spruchreif ist, kommt frühenstens Anfang Mai zur Verhandlung. Richter Strick spricht von "Terminierungsstau" und davon, dass "vier Wochen Vorlauf wünschenswert wären".Da lächelt Oberamtsanwalt Helmut Ayl milde, der sich in der unfreiwilligen Sitzungspause zu der Runde im Richterbüro hinzugesellt hat. Seine Behörde, die Staatsanwaltschaft, leistet die Vorarbeit für die Verfahren und ist nicht minder überlastet. An einem Morgen wie diesem vertritt Ayl alle sieben Verfahren bei Richter Strick. Oft kennt er sie nur aus den Akten - für jedes Verfahren den ermittelnden Staatsanwalt zu schicken, wie am Landgericht, wäre Luxus.Dafür nimmt man auch sonst manches etwas lockerer. Kein Ein- und Ausmarsch des Gerichts mit Aufstehen und Setzen hält den Betrieb auf, und nicht jeder Anwalt trägt unter der Robe die ordnungsgemäße weiße Krawatte. Mätzchen darf sich allerdings keiner erlauben. Der junge Mann aus der Eifel etwa, der um 9 Uhr wegen wiederholter Verkehrsdelikte antreten sollte, bekommt genau 15 Minuten Wartezeit, dann ergeht auch gegen ihn Haftbefehl. Bis zum nächsten Termin wird er sitzen müssen, vielleicht eine gravierendere Strafe, als er sie für seine Delikte bekommen hätte. Aber es geht nicht anders. Richter Strick will immerhin "so schnell wie möglich terminieren" - bis Mai wird der Sünder also nicht brummen müssen, schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit. "Vielleicht hat er einfach Angst", vermutet Strick.Weiter geht es im Halbstunden-Takt. Um 9.30 Uhr ist immerhin ein Angeklagter da, aber der will von seiner angeblichen Tat nichts wissen. Mit seinem Motorrad soll er einen Autofahrer geschnitten und ausgebremst haben. Das betroffene Ehepaar ist immer noch empört, aber ob es nun genau dieser Angeklagte war? "Er hatte halt einen Helm auf", sagt der Mann ratlos. Kurzes Geplänkel, dann beantragt Helmut Ayl Freispruch. Kein Beweis, keine Verurteilung. "Aber falls Sie es doch waren, machen Sie es nie wieder", grollt der Ankläger vorsorglich. Umfängliche Beweisführungen sind beim Amtsgericht eher die Ausnahme. Meist sind die Angeklagten geständig, und es geht "nur" um das Strafmaß. Große Prozess-Schlachten mit den Verteidigern gibt es selten, obwohl in den meisten Fällen Anwälte involviert sind.Manchmal wird es aber auch spannend. Wie beim Streit zwischen zwei Autofahrern um eine vermeintlich illegale Abkürzung zwecks Umgehung eines Staus. Der eine fuhr dem anderen bis zur Haustür hinterher, um sich zu beschweren, der Kontrahent wollte sich das nicht bieten lassen, was ihm eine Anklage wegen Körperverletzung eintrug. Viel bleibt davon bei der Beweisaufnahme nicht übrig. "Vielleicht hatten Sie beide einen schlechten Tag", mutmaßt Richter Strick. Das Verfahren wird im Einverständnis mit Verteidigung und Anklage eingestellt. Rechtssprechung mit Augenmaß: Damit erspart sich ein Amtsgericht eine Flut von Berufungen. Vielleicht auch bei dem 37-Jährigen, der das Arbeitsamt um ein paar hundert Euro geprellt haben soll, indem er einen neuen Job zu spät anmeldete. 30 Tagessätze beantragt Helmut Ayl, macht 750 Euro. "Sehr mild" sei das, befindet Wolf-Dietrich Strick, schließt sich aber nach kurzer Bedenkzeit an - trotz elf Voreintragungen im Strafregister, allerdings fast ausschließlich für Verkehrsdelikte.Der erfahrene Jurist, seit 1978 im Richterdienst, trifft im Sitzungssaal immer mal wieder auf alte Bekannte. Deshalb hält er Kontinuität auf den Richterstühlen beim Amtsgericht für sinnvoll, helfen doch gute Kenntnisse der "Klientel" oft bei Verhandlungsführung und Urteilsfindung. Es sind meist nicht die ganz schweren Jungs, mit denen er und seine Kollegen zu tun haben. So werde "der Sanktionsapparat selten ausgeschöpft", sagt Strick, meist bleibe man "in den unteren Kategorien des Strafrahmens". Aber es klingt nicht so, als wäre es ihm ein dringendes Bedürfnis, den ganz dicken Hammer des Strafrechts zu schwingen. Ein durchaus beruhigendes Gefühl.

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