Geschichte, ganz aktuell

TRIER. Massenarbeitslosigkeit, Verelendung, sozialer Absturz: In den 1920er Jahren litten die Menschen in der Region Trier erheblich unter der Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ein ungewöhnliches Forschungsprojekt an der Uni Trier arbeitet die Geschichte aus Sicht der Betroffenen auf.

Die Zeiten sind hart. Die deutsche Regierung versucht, Menschen aus der Arbeitslosenversicherung in den Bereich der Sozialfürsorge abzudrängen, weil angesichts der Massenarbeitslosigkeit die Kosten explodieren. Die für die Armenhilfe zuständigen Kommunen wiederum, von Geldmangel geplagt, wollen die Betroffenen abschieben: räumlich, indem sie versuchen, sie aus den Grenzen der jeweiligen Gebietskörperschaft herauszuhalten; finanziell, indem sie ihnen wegen angeblicher Arbeitsscheu oder unangemessenem Lebenswandel die Hilfe aberkennen. Wenn Tamara Stazic ihre Forschungsergebnisse über den Alltag arbeits- und mittelloser Menschen im Trier der 1920er Jahre ausbreitet, zuckt der Zuhörer angesichts aktueller Anklänge manchmal unwillkürlich zusammen. Die junge Historikerin arbeitet im Forschungsprojekt "Fremdheit und Armut" an der Uni Trier und beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit mit der Lage Arbeitsloser in Trier und Umgebung zur Zeit der Weimarer Republik. Der Forschungs-Ansatz fällt aus dem üblichen Rahmen. "Akteurszentriert" nennt Stazic das Prinzip, die Historie nicht "von oben" zu betrachten. Das sei in dieser Form nur in Trier möglich, weil anders als in den meisten Regionen die Fall-Akten, Korrespondenzen und Kontrollberichte der Behörden fast vollständig erhalten seien. So hat sie akribisch Fälle rekonstruiert von Menschen, die ursprünglich aus der Arbeitslosenversicherung kamen, aber dort nach einem halben Jahr "ausgesteuert" wurden. Sie landeten in der kommunalen Armenhilfe, die eigentlich eher für Witwen und Waisen, Kranke und Hilflose gedacht war. 13 Prozent der Bevölkerung in den Trierer Vorstädten stellten Unterstützungsanträge wegen Arbeitslosigkeit - erwünscht waren sie nicht. Oft wurden sie als "nicht hilfswürdig" abgelehnt, die Praxis war so rigoros, dass selbst der Preußische Landtag die Trierer Verwaltung kritisierte. Die Bezirksregierung musste Gemeindeverwaltungen in der Eifel gar zum Einhalten gesetzlicher Mindeststandards anhalten. Wer überhaupt in der Fürsorge landete, wurde zum Ausgestoßenen. Die Polizei spionierte ihm nach, die Nachbarschaft denunzierte ihn, die Bürgerrechte blieben auf der Strecke. Oft drohte Obdachlosigkeit. Im damaligen "Niemandsland" zwischen Trier und Euren entstand eine Barackensiedlung, die die Bevölkerung "Neu-Marokko" nannte. Hier lebten so genannte "Asoziale", aber auch langfristig arbeitslose Facharbeiter, sogar Zahnärzte und Kaufleute in wachsendem Elend. Und zwar schon lange vor der Weltwirtschaftskrise, wie Tamara Stazic herausgefunden hat. Ihre gerade für die heutige Zeit spannenden Erkenntnisse stellt Stazic am Freitag, 3. Juni, um 19 Uhr in der VHS Trier am Domfreihof im Rahmen der Reihe "Trier und drumherum - Junge Wissenschaftler/innen erforschen Ihre Welt" vor.

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