“Gewalt in der Pflege ist ein Problem”

Trier · Die beiden Trierer Kliniken haben ein System, bei dem Mitarbeiter anonym Fehler melden können. Vorbild dafür ist die Luftfahrt.

Wie oft es zu Gewalt von Pflegern gegenüber Krankenhauspatienten oder Heimbewohnern kommt, das weiß man nicht so genau. Es gebe keinen speziellen Straftatbestand "Gewalt im Heim", sagt Professor Thomas Görgen von der Deutschen Hochschule der Polizei. Experten gehen jedoch von einer hohen Dunkelziffer aus. Auch das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium hat keine Zahlen zu gewaltmäßigen Übergriffen in den einzelnen Krankenhäusern gegenüber Patienten.

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Gewalt könne es immer dort geben, wo es ein Abhängigkeitsverhältnis gebe, etwa zwischen Patienten und Pflegern, sagt Thomas Jungen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Daher würden die Mitarbeiter in den Häusern sensibilisiert. Einerseits wie sie sich selbst in Ausnahmesituationen unter Kontrolle halten können, damit sie nicht gewalttätig werden. Und andererseits, damit Mitarbeiter nicht wegschauen, keine Angst davor haben, Auffälligkeiten bei Kollegen etwa Vorgesetzten zu melden. Genau für diese Fälle gebe es in den katholischen Kliniken Vertrauenspersonen, "die ohne Schwierigkeiten und niedrigschwellig im Haus erreichbar sind", wie es in dem 16-seitigen Leitfaden zur "Prävention von sexuellen Übergriffen und anderen Formen von Gewalt im Krankenhaus" steht. Erarbeitet hat sie der Caritasverband für die Diözese Trier.

Vielen sei nicht bewusst, wo Gewalt in der Pflege anfängt, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Zur Gewalt gehöre das Sitzenlassen auf dem Klo genauso wie auch Beschimpfungen. Gewalt in Pflegeheimen sei ein relevantes Problem, sagt Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des Zentrums für Qualität in der Pflege. Er verweist darauf, dass auch Pflegebedürftige gewalttätig gegen die Pfleger werden können. Gewaltprävention müsse daher zentraler Punkt der Pflegepolitik nach der Bundestagswahl werden.

Für Markus Mai, Präsident der Landespflegekammer, ist der Fall des Pflegers Nils H., der mindestens 90 Menschen ermordet haben soll, unfassbar. Es sei in dem Umfang eine schreckliche Einzeltat, die ihn aber an einen Fall im pfälzischen Lambrecht erinnere. Dort soll ein 23-jähriger Pfleger eine 85-jährige Bewohnerin eines Heims umgebracht haben. Zunächst soll er ihr eine Überdosis Insulin gespritzt haben. Als sie dadurch nicht gestorben ist, soll er sie mit einem Kissen erstickt haben. Der Pfleger ist mittlerweile wegen Mordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft prüft alle weiteren Todesfälle in dem Heim, die sich zwischen Dezember 2015 und September 2016 in dem Heim ereignet haben.

Mai fordert, dass es in allen Heimen und Häusern unabhängige Anlaufstellen zum anonymen melden von Verstößen gibt. So wie die Vertrauensleute, in den katholischen Kliniken. Im Trierer Mutterhaus gibt es nach Auskunft einer Kliniksprecherin seit 2006 bereits ein solches anonymes Meldewesen. Dadurch werde "eine anonyme und sanktionsfreie Meldung von Beinah-Zwischenfällen und dadurch eine erhöhte Wachsamkeit im klinischen Alltag ermöglicht". Auch im Trierer Brüderkrankenhaus gibt es ein solches System. Es sei ein Instrument des Risikomanagements, das sich seit Jahren in der Luftfahrt bewährt habe, sagt eine Krankenhaus-Sprecherin. Außerdem würden die Mitarbeiter des Brüderkrankenhauses unter anderem auch im Umgang mit Grenzsituation geschult.

Es müsse in allen Kliniken Besprechungen geben, bei denen über Verläufe von Patienten gesprochen werde, die zu Tode gekommen seien oder "unerwartet schwierige Krankheitsverläufe" gehabt hätten, sagt der Präsident der Landesärztekammer, Günther Matheis. Bei diesen sogenannten Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen werde erörtert, wie beispielsweise die Operation verlief oder was man in der Nachsorge vielleicht hätte besser machen können. Aus Fehlern soll also gelernt werden und nicht unter den Teppich gekehrt werden.

DAS SAGT DIE GESUNDHEITSMINISTERIN
Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) reagiert geschockt auf den Fall Nils H.: "Bei der Mordserie in Niedersachsen handelt es sich um einen außergewöhnlichen Einzelfall und kriminelle Taten eines Einzelnen. Die schockierenden und bestürzenden Ereignisse dürfen aber nicht zu einer Kultur des grundsätzlichen Misstrauens gegen Pflegekräfte in unseren Krankenhäusern führen. Vielmehr brauchen wir eine noch stärkere ‚Kultur des Hinschauens', in der sich Staat, Einrichtungen, Mitarbeiter, Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen verantwortlich fühlen." In Rheinland-Pfalz würden bei der Pflege-Ausbildung ethische Prinzipien und Konflikte im Beruf, etwa zwischen Pflegern, Pflegebedürftigen und deren Angehörigen thematisiert, so die Ministerin.

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