Gewerkschaften bangen um ihr Streikrecht

Karlsruhe · Ob Lokführer, Fluglotsen oder Ärzte — im Widerstand gegen die Tarifeinheit von Arbeitsministerin Nahles stehen die Arbeitervertretungen zusammen. Jetzt blicken sie gespannt nach Karlsruhe: Die Verfassungshüter haben es in der Hand, das Gesetz zu kippen.

Karlsruhe (dpa) Es wird ernst für das umstrittene Tarifeinheitsgesetz von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD): Am morgigen Dienstag verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil nach Klagen etlicher Gewerkschaften. Sie laufen Sturm gegen die seit Juli 2015 geltende Neuregelung, weil sie um ihre Koalitionsfreiheit und ihr Streikrecht bangen, also um Einfluss.
Denn das Gesetz sieht vor, dass sich bei mehreren konkurrierenden Tarifverträgen künftig nur einer durchsetzt - und zwar der Abschluss derjenigen Gewerkschaft, die in dem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Im Zweifel müssen darüber die Arbeitsgerichte entscheiden.
Hintergrund ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2010, das verschiedene Vereinbarungen nebeneinander möglich machte. Davor galt jahrzehntelang das Motto "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag". Maßgeblich waren aber die Erfordernisse im Betrieb, nicht die Mitgliederzahlen.
Seither haben nach der Darstellung von Andrea Nahles die Machtkämpfe zwischen den Gewerkschaften zugenommen. Geht es nach der Ministerin, soll es auch gar nicht zum Äußersten kommen. Das Gesetz schaffe vielmehr einen Anreiz, sich von Anfang an abzustimmen und an einem Strang zu ziehen.

Die Gewerkschaften rechnen dagegen mit gravierenden Auswirkungen. Piloten oder Ärzte haben die Sorge, sich mit ihren speziellen Anliegen nicht mehr durchsetzen zu können. Der Beamtenbund dbb oder die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warnen vor einer Durchlöcherung der Flächentarife. Alle eint die Befürchtung, die Arbeitgeber könnten künftig gleich nur mit der ihnen genehmeren Gewerkschaft verhandeln.
Außerdem muss sich Nahles immer wieder gegen den Vorwurf wehren, die verordnete Tarifeinheit ziele insgeheim darauf ab, mächtige Spartengewerkschaften kaltzustellen. Ende 2014, Anfang 2015 etwa hatten Streiks der Lokführer-Gewerkschaft GDL massiv den Zugverkehr gestört.
Erfahrungen mit dem Gesetz gibt es bisher kaum. An den zwei Verhandlungstagen im Januar hatte der Erste Senat unter Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof deshalb auch sehr viele praktische Fragen zu klären. So kann die unterlegene Gewerkschaft den Konkurrenz-Tarifvertrag nachträglich unterzeichnen.
Offen blieb aber beispielsweise, was dann mit eigenen Vereinbarungen zu Themen passiert, die sich so im Mehrheits-Vertrag gar nicht wiederfinden.
Es deutet deshalb einiges darauf hin, dass die Verfassungsrichter das Gesetz zwar nicht komplett kippen, aber möglicherweise viele Beanstandungen im Detail haben (Az. 1 BvR 1571/15 u.a.).

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