"Gott sei Dank gibt es das Finanzamt"

TRIER. Ungewöhnlicher Vortrag an ungewöhnlichem Ort:Bischof Reinhard Marx nutzte eine Einladung des TriererFinanzamtes zu einer Grundsatzrede in Sachen Gerechtigkeit. Sein Plädoyer für einen "starken Staat" liegt quer zum politischen Mainstream.

Finanzbeamte teilen mit Studienräten, Politikern und Journalisten das Schicksal, bei Umfragen zum Ansehen von Berufen eher hintere Ränge zu belegen. Da ist es Balsam auf wunde Seelen, wenn ausgerechnet der Bischof - wie einst Jesus beim Zöllner Zachäus - beim Besuch im Domizil der Steuer-Eintreiber eine Lanze für die staatlichen Abgaben bricht. Er werde "ein Loblied auf die Steuer anstimmen", verkündet Reinhard Marx gleich zu Beginn seines Referats. Und spätestens beim Satz "Gott sei Dank gibt es das Finanzamt", weiß Vorsteher Jürgen Kentenich, dass er für den Auftakt seiner Vortragsreihe keine bessere Redner-Wahl hätte treffen können. Zum Thema "Gibt es eine gerechte Gesellschaft?" soll der Bischof referieren, und er nutzt die Gelegenheit zu einer engagierten, rhetorisch geschickten und argumentativ brillant untermauerten Abrechnung mit dem herrschenden politischen "Mainstream". Mit der zurzeit allseits beliebten These, der Staat solle sich aus möglichst vielen Bereichen zurückziehen und sie dem "freien Spiel der Kräfte" überlassen, kann Marx nicht das geringste anfangen. Einen "Nachtwächterstaat" fürchtet er, der "nur noch die Reste verteilt, die der Kapitalismus übrig lässt". Das klingt nach Oskar aus Saarbrücken, hat aber mehr mit Augustinus aus Numidien zu tun, jenem Kirchenvater, der schon 420 nach Christus in seinem Buch "Der Gottesstaat" eine staatliche Gemeinschaft, die nur der Durchsetzungsfähigkeit der Starken dient, mit einer "Räuberbande" verglich. Das zitiert der Bischof mit sichtlichem Genuss, ebenso wie den Begriff des Philosophen Joseph Schumpeter von der "schöpferischen Zerstörungskraft der Marktwirtschaft". Der Markt sei "Mittel der gesellschaftlichen Entwicklung, aber nicht das Ziel", postuliert Marx. Es brauche "einen starken Staat, um die Zerstörungskraft auszubalancieren". Es gebe zur Marktwirtschaft keine Alternative, aber sie verursache auch beträchtliche Kosten. Ihre Nachteile würden "selektiv auf einzelne Gruppen oder Regionen verteilt". Man dürfe "die menschlichen Verwerfungen dieses Systems, das ungeheuren Wohlstand zustande bringt, nicht aus den Augen verlieren". Nur ein Staat, der mit entsprechenden Mitteln ausgestattet sei, könne diese Aufgabe erfüllen. Und deshalb sei beispielsweise "das Finanzamt ein Segen". Da strahlt mancher insgeheim in der schmucken Amts-Kantine. Zumal der Bischof auch die Bürger und Unternehmen ins Visier nimmt, die das Zahlen von Steuern für eine Zumutung halten. Ohne Abgaben sei "ein geordnetes Gemeinwesen undenkbar", sagt Reinhard Marx. Aber viele würden den Wert einer funktionierenden Gesellschaft nicht mehr begreifen, "weil der Vergleich fehlt". Auch die Wirtschaft sei auf einen "klaren staatlichen Ordnungsrahmen angewiesen".Grundwasserspiegel gemeinsamer Überzeugungen

Wo der endet, da hat der Bischof auch eine eindeutige Meinung: Es sei heute nicht mehr Aufgabe des Staates, sich "in gelingendes Leben einzumischen" - auch wenn das den Menschen viele schwierige Entscheidungen aufbürde. Was Marx vorschwebt, ist ein "ermöglichender Sozialstaat", der "für Beteiligungsgerechtigkeit sorgt und jeden ins Boot holt". Es sei Entscheidung des Einzelnen, "seine Chancen zu nutzen oder auch nicht". Aber es sei Aufgabe des Staates, "dafür zu sorgen, dass jeder eine Chance bekommt". Und die "gerechte Gesellschaft"? Die sei kein statisches Ziel, sondern ein dauernder Prozess. Aber ohne einen "Grundwasserspiegel von gemeinsamen Überzeugungen" sei sie nicht denkbar. "Gerechtigkeit ist nicht", sagt der Bischof, "wenn der Recht hat, der sich als Stärkerer durchsetzt". Am Ende gibt es reichlich Beifall im Finanzamt. Erst am letzten Wochenende hat die christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft im Dortmund dem Bischof den "Eisernen Amboss" für sozialpolitisches Engagement verliehen. "Ich glaube, ich habe mich ziemlich in Rage geredet", sagt er nach dem Vortrag. Aber er blickt dabei recht vergnüglich drein.

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