Große Lücken im Sprachschatz

Fast jeder dritte der in dieser Woche eingeschulten ABC-Schützen hat im Kindergarten gezielte Sprachförderung erhalten. Eine Garantie zur Behebung von Sprachproblemen ist die Förderung allerdings nicht. Eine Studie soll nun zeigen, welche Fortschritte durch die Kurse erreicht werden.

Mainz. Bei rund 15 000 der landesweit 40 000 neuen Erstklässler sind in den vergangenen zwölf Monaten Defizite im Sprachschatz mit Förderkursen im Kindergarten angegangen worden. Im neu begonnenen Jahr steigt die Zahl der Kinder in den vor zwei Jahren flächendeckend gestarteten Basis- oder Intensivkursen erneut auf insgesamt 17 300.

Vor allem weil sich der deutliche Förderbedarf bereits im vorletzten Kindergartenjahr abzeichnet, ist auch die Zahl der Vier- bis Fünfjährigen in den Kursen der beiden vergangenen Jahre um rund 50 Prozent rasant gestiegen.

Ohne Kindergarten-Besuch zeigen sich bei jedem zweiten Kind Defizite. Entsprechend wird eine Sprachförderung vorgegeben. Notwendig wird die Unterstützung allerdings keineswegs nur beim Nachwuchs aus Einwandererfamilien: Bei rund der Hälfte der Kinder in den Basiskursen der Kindertagesstätten ist Deutsch Herkunftssprache. In den Intensivkursen ist es immerhin noch fast jeder Dritte.

Sechs Millionen Euro im Jahr investiert das Land in die Förderung, um dem Leitgedanken der Sprache als Schlüssel zum schulischen Erfolg gerecht zu werden. Eine Studie über ein Vorläuferprogramm hatte 2006 einen deutlichen Gewinn an Ausdrucksfähigkeit, Sprachsicherheit und Wortschatz aufgezeigt. Eine Untersuchung der Universität Koblenz-Landau soll nun nachvollziehen, "was wie wirkt", sagte Bildungs-Staatssekretärin Vera Reiß im Gespräch mit dem TV. Zwar laufen bereits Voruntersuchungen an, doch werden Ergebnisse vermutlich erst in zwei Jahren vorliegen. Auch wenn es nach Angaben von Hjalmar Brandt vom Lehrer-Verband Bildung und Erziehung (VBE) noch zu wenig verlässliche Erkenntnisse zum Erfolg der Förderung gibt, werten die Grundschullehrer allein die möglichst frühzeitige Feststellung der Lücken und die gezielte Hilfe als positiv. So hat sich nach ersten Erfahrungen zumindest die Situation in den Eingangsklassen nicht verschlechtert. Ein Sprachtest bei der Anmeldung zur Einschulung rund ein Jahr vor dem Schulstart wird nur bei Kindern gemacht, die nicht den Kindergarten besuchen. Mehr als die Hälfte der 2007 in die Förderkurse geschickten Fünfjährigen waren Deutsche. Die bisherige Erfahrung lehre allerdings nicht, dass Kindergartenkinder keine Sprachprobleme hätten, so Brandt. In diesen Fällen müssten die Grundschulen auf besondere Förderung abstellen und im Zweifelsfalle auf Spezialisten verweisen. Auch Reiß räumt ein, dass der Kindergartenbesuch trotz Förderung nicht automatisch garantiere, dass es keine Sprachprobleme gebe. Daher verfügten Grundschulen auch über ein Kontingent an Extra-Stunden. Grundsätzliches Bildungsziel der Kitas sei gleichwohl, dass Kinder ein Gespräch auf Deutsch mit führen oder als Zuhörer verstehen könnten.

Meinung

Reden ist Gold

Die Zahl der Vorschulkinder mit Sprachdefiziten wächst stetig. Besonderns alarmierend: Es geht nicht nur um Kinder aus Einwanderfamilien, die häufig in keiner Sprache richtig zu Hause sind. Oft genug betrifft es auch den Nachwuchs deutscher Eltern. Wo früher das Umfeld prägend war, mit Kindern viel gesprochen, vorgelesen oder lehrreich gespielt wurde, dominieren heutzutage meist Fernsehen und Computerspiel. Dies ist genau das Gegenteil des im wahrsten Wortsinn vorbildlichen Dialogs mit den Kindern. Bleibt die Vermittlung von Sprachverständnis aus, muss einmal mehr der Kindergarten einspringen und quasi Erste Hilfe leisten, um das Schulleben nicht zum "unverständlichen" Fiasko werden zu lassen. Doch damit sind nicht alle Probleme zu beheben. Das Elternhaus bleibt in der Pflicht - zumindest wenn es der deutschen Sprache mächtig ist. j.winkler@volksfreund.de

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