Häufiger Griff zur Pille

Mehr Medikamente gegen Depression, mehr Pillen für unruhige Kinder: Die Rheinland-Pfälzer sind beim Griff zur Medikamentenschachtel schneller dabei als der durchschnittliche Bundesbürger.

Mainz. Rheinland-Pfälzer gehen nicht nur häufiger zum Arzt, sie schlucken auch mehr Medikamente als der deutsche Normalverbraucher. Mit allein 10,5 verschriebenen Packungen im Jahr liegen gesetzlich versicherte Partienten um rund acht Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Besonders auffällig ist laut Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse, dass in Rheinland-Pfalz bei Depressionen häufiger Medikamente verschrieben werden als im übrigen Bundesgebiet. Die Verordnungsrate lag um mehr als 14 Prozent über dem Durchschnitt. Nur im Saarland wurden noch öfter sogenannte Antidepressiva auf den Rezeptblock notiert. Mehr als elf Prozent berufstätige Frauen waren 2006 im Land wegen Depressionen in ambulanter Behandlung, knapp fünf Prozent der Männer. Die Gründe für einen teilweise dramatischen Anstieg in den vergangenen Jahren reichen laut Experten von deutlich erhöhtem beruflichen Stress über Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Sorgen bis zu privatem Ärger. Als Anhaltspunkt für die landesspezifische Situation gilt allenfalls die wirtschaftliche Gesamtlage. Laut jüngstem DAK-Gesundheitsbericht sind die Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen entgegen des Trends seit dem Jahr 2000 um 18 Prozent gestiegen. Allerdings wird dennoch bei Männern von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, weil die Symptome nicht wahrgenommen oder geleugnet werden. Oder die Erkrankung äußert sich auf anderem Wege, wie etwa über erhöhte Aggression. Auffällig ist für Rheinland-Pfalz auch eine deutlicher Anstieg der verordneten Medikamente gegen das Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADS/ADHS). Die Zahl der über die TK versicherten betroffenen Kinder stieg um 13 Prozent. Rund 500 000 Kinder und Jugendliche sind nach Schätzung der Kassenärzte bundesweit betroffen. Kinderarzt: Medikamente zu schnell eingesetzt

Dass die Gabe von Psychopharmaka an Kinder erst der letzte Schritt in der Behandlung sein sollte, ist Tenor eines im Herbst 2007 vereinbarten integrierten Versorgungskonzeptes der Krankenkassen mit Kinder- und Jugendärzten und -psychotherapeuten. Nach Angaben von Kinderarzt Jürgen Fleischmann sind Kinder und Jugendliche, die an ADS oder ADHS leiden mehr als nur der berühmte "Zappelphilipp". Bei bis zu 70 Prozent der Betroffenen kommen Störungen von schwierigem Sozialverhalten bis zu Angst- oder Ess-Störungen dazu. Dabei werden aus seiner Sicht Medikamente zu schnell und oftmals falsch eingesetzt: Sie sind laut Fleischmann keine Beruhigungsmittel, die bei Bedarf heraufgesetzt werden können, sondern Aufputschmittel, die genau dosiert werden müssen, um eine gezielte Konzentration zu erreichen.

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