"Hinter Gittern werden alle aggressiv"

TRIER/RODALBEN. Waren die drei Jugendlichen, die im pfälzischen Rodalben eine Erzieherin erstochen haben, vor der Tat wirklich nur harmlose Kriminelle, oder sind sie früher bereits bei Gewalttaten aufgefallen? Zumindest bei dem 16-jährigen David L. aus dem Kreis Trier-Saarburg gehen die Meinungen auseinander.

"Er war nicht vorbestraft, hat bei der Festnahme keinen Widerstand geleistet." Oberstaatsanwalt Horst Roos lässt keinen Zweifel daran, dass der 16-jährige David L. für die Unterbringung in dem geschlossenen Jugendheim im pfälzischen Rodalben geeignet gewesen sei. Es habe keine Hinweise gegeben, dass er gewalttätig sein könnte. Auch der Mainzer Justizminister Herbert Mertin (FDP) verteidigte gestern im Rechtsausschuss des Landtags die Einweisung der drei Jugendlichen in das Heim.L. wurde am 30. September in Ockfen (Kreis Trier-Saarburg) festgenommen. Zusammen mit zwei 15-jährigen Kumpels, einem Jungen und einem Mädchen, war er in einem in Saarburg gestohlenen Ford Transit unterwegs. In Ockfen bauten die drei einen Unfall, fuhren jedoch weiter. Ein Polizist, der privat unterwegs war, verfolgte das Trio.David L. soll sein Umfeld terrorisiert haben

Er stellte das Mädchen und den 16-jährigen L., danach ging der 15-jährige Fahrer mit einem Weinbergspfahl auf den Polizisten los und verletzte ihn. Seine mittlerweile eingetroffenen Kollegen konnten die Jugendlichen festnehmen. Ihnen wurde Einbruch, Diebstahl, Unfallflucht, Widerstand und Körperverletzung vorgeworfen. Der 15-Jährige, der den Polizisten angegriffen hat, und das Mädchen sitzen laut Roos in Untersuchungshaft. Der 16-jährige David L. wurde kurz nach seiner Festnahme in das Anfang Oktober eröffnete Jugendheim nach Rodalben geschickt. Aus Sicht des Oberstaatsanwalts war er dort gut aufgehoben: "Er hat ja bis dahin keine Gewalt ausgeübt." Dass er sich dort zu einem Gewaltverbrecher entwickeln könnte, sei nicht vorhersehbar gewesen.Von seinem Umfeld wird David jedoch durchaus als aggressiv bezeichnet. Er habe seine Eltern und Lehrer terrorisiert, heißt es. Lehrer hätten ihm kriminelle Energie bescheinigt und als unsozialisierbar eingestuft.Für den Hannoverschen Kriminologen und ehemaligen niedersächsischen Innenminister Christian Pfeiffer kommt die Bluttat von Rodalben nicht überraschend. "Hinter Gittern werden alle Jugendlichen aggressiv." Selbst Jugendliche, die bis dahin als nicht als gewalttätig gegolten hätten, neigten im Gefängnis oder in solchen Einrichtungen wie in Rodalben zur Gewalt. "Ihnen wurde plötzlich die Freiheit genommen, sie sitzen das erste Mal in Haft", erklärt der Kriminologe.Es sei naiv und grob fahrlässig zu glauben, so Pfeiffer, dass man bei Heimen wie dem in Rodalben, die er für durchaus sinnvoll hält, auf Sicherheitsmaßnahmen wie im Gefängnis verzichten könne. "Das Personal muss genauso ausgebildet sein und über entsprechende Alarmierungsmöglichkeiten verfügen wie Gefängnisangestellte." Eine Erzieherin ohne Schulung für solche Notfälle und Ausbildung sei in einer solchen Einrichtung fehl am Platz. Vor allem die Nachtüberwachung müsse genauso professionell sein wie in einer Haftanstalt. Auch in einem Heim für kriminelle Jugendliche dürfe es nicht sein, dass eine Aufsicht allein in ein Zimmer gehe oder allein den Insassen gegenübertrete. "Man muss immer mit Gewaltausbrüchen rechnen."Für Pfeiffer ist klar: Die Träger der Einrichtung, das Justiz- und das Sozialministerium in Mainz, sind verantwortlich für den Tod der 26-jährigen Erzieherin.

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