"Ich bin der Prügelknabe"

TRIER. Rentner gegen Gerichtsvollzieher: Mit dieser emotionsgeladenen Konstellation musste sich dieser Tage das Amtsgericht Trier beschäftigen. Die Anklage gegen einen 71-Jährigen lautete auf Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und falsche Verdächtigung.

Helmut C. ist empört. Worte wie "Skandal", "Lüge", "Erpressung" wirft er in den kleinen Saal des Amtsgerichts. "Ich bin hier nur der Prügelknabe", sagt er irgendwann, es klingt resigniert und erschöpft. Der 71-Jährige vertritt sich selbst, kein Anwalt steht ihm zur Seite. Das wird am Ende teuer für ihn werden, weit teurer, als ein guter Rat gewesen wäre. Aber C. will keinen Rat, er will sein Recht. Genauer gesagt: das, was er dafür hält. Und das bekommt er nicht. So hat er es schon oft empfunden in seinem Leben. Verbitterung und Frust schwingen in der Stimme mit, wenn er ausgiebig von seiner Vergangenheit erzählt. Anfang der Neunziger hat er eine Eigentumswohnung gekauft und damit finanziellen Schiffbruch erlitten. Der Mieter habe ihn geprellt, dadurch sei er mit den Kreditzahlungen in Rückstand geraten, worauf die Bank die Zwangsversteigerung einleitete. Hinter jedem Satz schimmert durch, dass er sich permanent über den Tisch gezogen fühlt. Sein Eigentum hat er verloren, Schulden immer noch "mehr als genug", und seit der Sache mit der Eigentumswohnung lebt er im Wohnmobil auf einem Campingplatz an der Mosel. Beziehungsweise in einem "mobilen Wohnheim", wie er den Staatsanwalt verbessert. So viel Würde muss sein. Richterin Lisa Winterholler lässt Helmut C. ausreden, auch da, wo er ausschweift. Aber irgendwann lenkt sie den Redefluss in Richtung des "Tatgeschehens", das sich am 19. November 2004 vor C.'s mobilem Wohnheim abspielte. Dort klopfte nämlich morgens um 11 der Gerichtsvollzieher aus Trier an die Tür und erkundigte sich, ob er es mit Helmut C. zu tun habe. Genau an dieser Stelle endet die gemeinsame Wahrnehmung von "Täter" und "Opfer". "Es hätte ein Trickdieb sein können"

Da habe ein Unbekannter in Zivil vor der Tür gestanden, sich weder namentlich vorgestellt noch ausgewiesen und eine dem Hausherrn völlig unbekannte Forderung aus dem Jahr 1996 übergeben wollen - sagt Helmut C. Weil der Mann weitere Auskünfte verweigerte ("Es hätte ein Trickdieb sein können"), habe er ihm die Papiere aus der Hand genommen. Daraufhin habe ihn der Unbekannte in sein Mobilheim verfolgt und ihn dort niedergeschlagen, so dass er auf einer Kommode gelandet sei, wobei ihm die dort deponierten Ohrstecker seiner Frau schmerzhaft ins Hinterteil eingedrungen seien. Sein Kontrahent, der im Gerichtssaal mitnichten wie ein verhinderter Rambo, sondern eher wie ein korrekter Bürokrat wirkt, hat den Vorgang völlig anders erlebt. Nach ordnungsgemäßer Vorstellung mit Namen und Funktion sei der Angeklagte zunächst verbal aggressiv geworden und habe ihm dann die amtlichen Urkunden ent- und selbige anschließend zerrissen und in seine Wohnung geworfen. Beim Versuch, die Überreste der Unterlagen aus dem Mobilheim zu retten, habe ihn der Rentner geschlagen und getreten. Beim Rückzug habe er den tobenden Mann auf eine Kommode gedrückt, um sich den Weg nach draußen zu bahnen. Zehn Minuten später sei er mit zwei Polizisten angerückt, aber da habe sich der Angeklagte bereits beruhigt. Es wurde wechselseitig Anzeige erstattet, die Staatsanwaltschaft glaubte den Indizien und dem Gerichtsvollzieher, hielt C.'s Anzeige für einen Racheakt. Man verhängte einen Strafbefehl über 2000 Euro wegen Körperverletzung, Widerstand und falscher Verdächtigung. Keine drakonische Strafe, 120 Tagessätze. Aber Helmut C. legte schriftlich "allerschärfsten Protest und Widerspruch" ein, so dass es zur Verhandlung kam. Bis zur Grenze des Vetretbaren müht sich die Richterin ("Ich habe ja auch eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Angeklagten"), Helmut C. von der Rücknahme seines Widerspruchs zu überzeugen. Schon die von ihm zugegebene Wegnahme der Unterlagen sei eine Straftat, "egal, wem wir sonst glauben". Warum er denn "nicht einfach die Tür zugemacht" habe, will Winterholler wissen - eine plausible Antwort bleibt aus. Selbst der Staatsanwalt redet auf C. ein. Beim Strafbefehl habe man ein niedrigeres Einkommen zugrunde gelegt als er selbst bei der Verhandlung angegeben habe. Eine Verurteilung würde aller Voraussicht nach spürbar teurer. Aber alle Mühe ist sinnlos, und ein Anwalt, der C. vor Schaden bewahren könnte, ist nicht da. "Machen sie mit mir, was sie wollen, der Einspruch bleibt", ruft er am Schluss. Die Quittung: 120 Tagessätze à 35 Euro, also insgesamt 4200 Euro, plus Gerichtskosten. Die Rente von Helmut C. wird noch etwas schmäler werden. Aber darauf, dass er sich das vielleicht selbst eingebrockt hat, wird er nicht kommen. Wie alle, die sich dauernd von der Welt betrogen fühlen.

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