"Ich rannte um mein Leben"

TRIER. Vor dem Landgericht hat gestern der Prozess gegen einen 49-jährigen Mann aus Kordel begonnen. Dem gebürtigen Polen wird vorgeworfen, seine Ehefrau aus Eifersucht um ein Haar getötet zu haben.

Glaubt man dem Angeklagten Andrzej C., hat sich nahezu die ganze Welt gegen ihn verschworen. An erster Stelle seine drei Jahre jüngere Ehefrau. Den ganzen Vormittag erzählt der 49-Jährige ausschweifend, wie er die damals 16-jährige Thüringerin vor knapp 30 Jahren in einer Gaststätte kennen lernte, wie sie zusammen zogen, zwei gemeinsame Söhne geboren wurden, und sie sich schließlich "rübermachten" in den vermeintlich goldenen Westen. Stundenlang erzählt Andrzej und lässt dabei nicht ein gutes Haar an seiner Frau: "Ich habe gearbeitet wie ein Stier, sie wechselte die Männer so häufig wie ihre Unterwäsche." "Ich wusste, dass sie ein Flittchen ist und habe trotzdem zu ihr gehalten." "Sie hat viele Fehler gemacht, ich war so gutmütig." Doch nicht nur seine Frau hat sich angeblich gegen Andrzej verschworen, auch seine beiden mittlerweile erwachsenen Söhne "haben mich belogen und betrogen". Wer dem kräftigen grauhaarigen Mann auf der Anklagebank zuhört, muss zu dem Schluss kommen, Täter und Opfer seien bei diesem Prozess verwechselt worden. Andrzej - das ist der Gute; Ehefrau, Söhne, Nachbarn, Polizisten und andere - das sind die wahren Bösen. Dass das selbst ernannte Unschuldslamm viele schwarze Flecken hat, wird am Nachmittag deutlich, als seine Ehefrau aussagt. Die 46-jährige Mutter wäre an einem Samstagmorgen im September fast auf der Straße vor ihrem Tante-Emma-Lädchen in Trier-Quint verblutet. Wenige Wochen zuvor hatte sie sich von ihrem Mann getrennt, obwohl Andrzej schon kurz nach der Hochzeit gedroht hatte: "Wenn du mich verlässt, bringe ich dich um." Die Drohung, ein paar Mal erneuert, wirkte fast 30 Jahre. 30 Jahre, in denen Andrzej häufig brüllte, er seine Ehefrau manchmal schlug und Streit bald zum Alltag gehörte. "Ich habe immer still gehalten", sagt die Frau, "mit den Jahren kriegt man ein dickes Fell"."Hier bin ich, und hier bleibe ich"

Im Juni 2004 nimmt sie allen Mut zusammen, packt daheim ihre Siebensachen und zieht zu einem Mann, den sie erst ein paar Monate zuvor kennen gelernt hat: "Hier bin ich, und hier bleibe ich", sagt sie, "und nun schau', wie du mit mir klar kommst." Der neue Freund - ein ehemaliger Wohnsitzloser, den die Ehefrau rausgeschmissen hat. "Bei ihm habe ich gefunden, was ich all die Jahre gesucht habe - Ruhe und Wärme." Andrzej lässt das neue Glück nicht in Ruhe, terrorisiert das Paar, macht es mies in der Nachbarschaft. Es kommt zu Auseinandersetzungen, bis ein Gericht entscheidet: Andrzej darf sich seiner Ehefrau nicht mehr nähern. An jenem Septembermorgen lauert er ihr auf, als sie die Zeitungen aus einer Holzkiste vor dem Laden holen will. "Als ich ihn gesehen habe, bin ich um mein Leben gelaufen", erzählt die 46-Jährige. In der Mitte der Dorfstraße spürt sie einen Schwertschlag im Genick, taumelt, fällt in eine Dornenhecke. "Da habe ich noch mal zwei Schläge gespürt." Der Täter lässt erst von der Schwerverletzten ab, als eine aufmerksame Autofahrerin anhält und schreit. Andrzej wird wenig später festgenommen. "Ich wollte doch nur mit ihr reden", sagt er gestern. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

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