Im Volksfreund-Interview: Trierer Sportreporter war während der Anschläge im Stade de France

Stefan Kersthold, 53, ist Sportreporter beim SWR. Zusammen mit 30 Zuschauern des Senders war der gebürtige Trierer im Stade de France, als es zu den Anschlägen kam. Wie er die Nacht in Paris erlebt hat und wie er damit fertig wird, schildert er im TV-Interview. Mit Kersthold sprach unser Redakteur Bernd Wientjes.

 Die französische Fahne eines Fans ist im geräumten Stadion zurückgeblieben. Foto: Uwe Anspach

Die französische Fahne eines Fans ist im geräumten Stadion zurückgeblieben. Foto: Uwe Anspach

Herr Kersthold, Sie waren am Freitagabend im Stadion in Paris. Was haben Sie gedacht, als sie 20 Minuten nach Anpfiff den ersten Knall gehört haben?
Stefan Kersthold: Die Detonation war unmittelbar hinter uns. Mir war sofort klar: Das ist kein Böller, das muss etwas Heftiges sein. Da hatte ich schon ein ungutes Gefühl. Die zweite Explosion fünf Minuten später war noch viel stärker. Da haben die Ränge im Stadion regelrecht vibriert. Der Knall ist einem richtig in die Glieder gefahren.

War Ihnen da schon klar, dass es sich um einen Anschlag handeln könnte?
Kersthold: Ich habe es zu dem Zeitpunkt schon befürchtet. Man hat aber keine Informationen dazu bekommen. Ich habe versucht, im Stadion übers Handy ins Internet zu kommen. Das ging nicht, weil vermutlich alle das versucht haben. Irgendwann habe ich dann eine SMS von meiner Frau von zu Hause bekommen. Da stand nur drauf: Was ist los? Bombendrohung oder Terroranschlag?

Wann haben sie dann tatsächlich gewusst, was los ist?
Kersthold: In der Halbzeit bin ich hoch in den Oberrang. Von dort habe ich dann runter geschaut und gesehen, dass vor dem Stadion alles abgesperrt war, lauter Polizei- und Krankenwagen standen davor. Da war mir klar, da muss etwas Schlimmes passiert sein.

Wie haben die Zuschauer im Stadion reagiert?
Kersthold: Im Stadion herrschte eine abwartende Ruhe. Wenn man in die Gesichter der Zuschauer geschaut hat, hat man aber gemerkt, viele haben eine Ahnung gehabt. Dass es Anschläge gegeben hat, hat sich dann so nach und nach rumgesprochen.

Gab es im Stadion offizielle Informationen über die Anschläge?
Kersthold: Nein. Es gab keine Stadiondurchsagen. Das war auch gut so. Sonst wäre vermutlich eine Massenpanik ausgebrochen. Ich wurde von meiner Frau zu Hause auf dem Laufenden gehalten. Sie hat mir mitgeteilt, was mein Reporter-Kollege Tom Bartels bei der Live-Übertragung des Fußballspiels in der ARD gesagt hat. Irgendwann hieß es Geiselnahme, mehrere Anschläge. In der zweiten Halbzeit gab es immer mehr dieser Meldungen. Da haben wir uns schon Gedanken gemacht, wie wir aus dem Stadion kommen.

Was ist nach dem Schlusspfiff passiert?
Kersthold: Zunächst hieß es, alle Ausgänge bleiben geschlossen. Dann hieß es, die Tore sind auf. Unser Ausgang war aber zu. Wir sind über zwei schmale Gänge zu einem anderen Ausgang geleitet worden. Da gab es dann den für mich bedrückensten und beängstigensten Moment: Es ist eine Panik ausgebrochen, die Menschen sind zurück gelaufen in Richtung Stadion. Leute wurden zu Boden gerissen. Von da an hat jeder versucht, sich selbst in Sicherheit zu bringen. Unsere Gruppe war auseinandergerissen. Alle Zuschauer sollten dann in den Innenraum des Stadions, was aber für uns, wir waren noch zu viert, von unserer Position am Oberrang überhaupt nicht machbar war. Daher haben wir für uns entschieden, wir gucken, dass wir aus dem Ding rauskommen. Das haben wir dann auch irgendwann geschafft.

Wie ging es dann weiter?
Kersthold: Als wir draußen waren, war zu sehen, dass die Stadt im Ausnahmezustand ist. Alle Straßen waren abgeriegelt.
Wir mussten erst mal unseren Bus suchen, die Gruppe war immer noch komplett auseinandergerissen. Jeder von uns bekam ständig SMS von Verwandten, die wissen wollten, was los ist. Irgendwann haben wir es geschafft, den Bus zu finden. Es haben aber noch sechs Leute aus unserer Gruppe gefehlt. Zwei sind mit dem Taxi ins Hotel, zwei sind die fünf Kilometer bis zu unserem Hotel zu Fuß gegangen.

Haben Sie dann die Nacht im Hotel verbracht oder sind Sie gleich losgefahren?
Kersthold: Wir haben uns dann tatsächlich alle im Hotel getroffen. Aber wir konnten nicht in der Nacht nach Hause, weil der Bus angeblich eine Standzeit von neun Stunden brauchte. So sind wir dann am Samstag um halb elf morgens aufgebrochen. Die Stimmung im Bus auf der Rückfahrt war schon sehr gedrückt.

Wie haben Sie Paris am Samstagmorgen erlebt?
Kersthold: Die Stadt war tot. Überall sah man, als wir aus Paris herausfuhren, nur Militär und Polizei. Alle waren schwer bewaffnet.

Haben Sie das Erlebte schon verarbeitet? Oder ist Ihnen jetzt schon bewusst, wie knapp Sie selbst einem Anschlag entkommen sind?
Kersthold: Als ich am Samstag erfahren habe, dass der Attentäter, der sich vor dem Stadion in die Luft gesprengt hat, ein Ticket hatte fürs Fußballspiel und ins Stadion wollte, ist mir klar geworden, wir haben ein Schweineglück gehabt. So was verarbeitet man nicht von jetzt auf gleich. Die Anschläge zeigen, dass der IS bewusst solche friedlichen Veranstaltungen aussucht, um Menschen umzubringen. Da merkt man, wie schutzlos man einfach ist. Es wird einem klar, es hätte auch zu Ende sein können. Damit muss man erst mal fertig werden.

Nächstes Jahr soll die Fußball-EM in Frankreich sein. Sie sind Sportreporter. Gehen Sie da mit gemischten Gefühlen hin?
Kersthold: Ich muss erst mal abwarten, wie ich das, was ich am Freitag erlebt habe, verarbeite und wie sich das entwickelt bei mir.

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