Jahrgangsbeste ohne Allüren

SPANGDAHLEM. Vor 50 Jahren war das Fliegen in der US-Luftwaffe ein abgeschotteter Bereich: nur für Männer. Heute hat sich das Bild geändert - etwas jedenfalls: Eine A-10- und zwei F-16-Kampf-Pilotinnen donnern von Spangdahlem aus in die Krisengebiete der Welt. Jessica Rhyne ist eine von ihnen.

Um sie herum Finsternis. Jessica Rhyne befindet sich mit ihrer F-16 tief in Feindesland. Im Irak. Sie schert seitlich aus. Unter ihr liegen die Flugabwehr-Stationen des Feindes. Sobald sie auf deren Radar auftaucht, ist sie Zielscheibe für deren Raketen. Und das ist ihre Aufgabe. Ein Ablenkungsmanöver, damit Aufklärungsflugzeuge oder Bomber unbemerkt agieren können. "Katz- und Maus-Spiel" sagt Captain Jessica Rhyne dazu, als handele es sich um ein argloses Versteckspiel. Sie riskiert ihr Leben. "Ich akzeptiere das Risiko", meint sie. Es gehört zu ihrem Beruf. Vor zehn Jahren hätte sie als Frau diesen Job gar nicht machen dürfen. Die 31-Jährige ist eine Ausnahme-Erscheinung in der US-Luftwaffe: Von 12 000 Piloten sind 460 Frauen - weniger als vier Prozent. Und Kampf-Pilotinnen sind noch seltener. Jessica Rhyne ist eine von zwei F-16-Pilotinnen auf der Air Base Spangdahlem. Sie gehört zur 23. Flugstaffel - eine Frau unter 40 Männern. Eine Rakete hat sie noch nie abgefeuert. Ein bisschen, sagt sie, wartet sie darauf. "Unser ganzes Training ist darauf ausgerichtet." Wer eine Frau mit breiten Schultern, Kurz-Haarschnitt und lauter Stimme erwartet, irrt. Jessica Rhyne ist klein. Sie trägt einen Pferdeschwanz, lächelt viel und errötet leicht. Dass sie auf der High School Jahrgangsbeste war, erwähnt sie gar nicht. Zurückhaltung auch, wenn Menschen sie fragen, was sie beruflich macht: "Ich bin bei der Air Force", antwortet sie. Erst wenn nachgehakt wird, rückt sie mit der Wahrheit heraus, nämlich, dass sie zu der einsamen Elite der US-Luftwaffe zählt. Und das sorgt für Erstaunen bei den Leuten. Zur Laufbahn einer F-16-Pilotin kam sie nur, weil sie Astronautin werden wollte und: "Alle Astronauten waren zuvor Kampf-Piloten." Als Zwölfjährige hatte sie das Kennedy Space Center der Nasa in Florida besucht und war fasziniert. Ihr Traum: eine Weltraumfähre zu fliegen. Und so ging sie nach der High School direkt auf die Air Force Academy in Colorado Springs. Obwohl zu dem Zeitpunkt Frauen für das Training zur Kampf-Pilotin gar nicht zugelassen waren. "Ich war entschlossen." Jedes Jahr fragte sie den Kongress-Abgeordneten ihrer Gemeinde, wann sie das Gesetz ändern würden. Seine Antwort: "Familien sind noch nicht bereit zu sehen, wie ihre Schwestern und Ehefrauen in Leichensäcken nach Hause kommen." 1993 schließlich, als Jessica Rhyne noch die Air Force Academy besuchte, änderte das Verteidigungsministerium doch die Regel und ließ Frauen für das Training zur Laufbahn des Kampf-Piloten zu. Und so ging sie den Weg der F-16-Piloten. Ohne weibliche Vorbilder. Sie schloss ihre Kurse mit Top-Noten ab, bestand die körperlichen und psychologischen Tests, zeigte beim Flug-Training, dass sie manövrieren kann. Und stellte auch fest, dass sie, um Astronautin zu werden, zu schlecht sieht. "Oh, Du bist ja doch ein Mädchen"

Ob sie je das Gefühl hatte, dass sie als Frau höhere Standards erfüllen musste? "Nein, nie", sagt die Pilotin. "Ich habe mir selbst höhere Anforderungen gestellt. Ich wollte nicht, dass irgendjemand denkt, dass ich als Frau eine Sonderbehandlung bekomme." Ihre männlichen Kollegen hätten auch nie angedeutet, dass sie aufgrund ihres Geschlechts Vorteile habe. Am Wochenende, sagt sie,lackiere sie sich die Fußnägel und trage Make-up - "einfach, um etwas Weibliches zu machen". Treffe sie zufällig Kollegen, seien die überrascht: "Oh, Du bist ja doch ein Mädchen", würden sie im Spaß sagen. Den Traum, einmal die Erde aus dem All zu umfliegen, hat sie nicht aufgegeben. "Vielleicht ändern sie einmal die Augensicht-Vorgaben für Astronauten." Es sei ja denkbar. "Schließlich hatte ich ja schon einmal Glück." Bis es soweit ist, begnügt sie sich damit, "nur" in 16 Kilometern Höhe und 2400 Kilometer in der Stunde über die Erdoberfläche zu jagen. Mit lackierten Fußnägeln.

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