Kanzlerin will Amerikaner auf Klimaschutz einschwören

Mit Spannung erwartet, mit Vorschusslorbeeren versehen: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht heute vor beiden Kammern des US-Kongresses.

Washington. "Die Bürger Deutschlands vertrauen Ihnen. Vertrauen Sie auch uns. Darum bitte ich Sie." Mit diesen Worten beendete am 28. Mai 1957 Konrad Adenauer seine Rede vor dem US-Repräsentantenhaus. Die Abgeordneten zeigten sich begeistert: "Applaus, die Mitglieder erheben sich", beschreibt das Protokoll die stehenden Ovationen für den damaligen Kanzler, der sich in seiner Ansprache für den Marshall-Plan bedankt und sogar ein Abraham Lincoln-Zitat als Hinweis dafür bemüht hatte, dass Deutschland nun eine "unerschütterliche Demokratie" sei.

Klimaschutz-Rede als Drahtseilakt



Wenn heute Angela Merkel in die Fußstapfen des "Alten" aus Rhöndorf tritt und im großen Sitzungssaal des Kapitols das Wort ergreift, so ist dies für die Wahlsiegerin nicht nur eine besonders zelebrierte Ehre, die ausländischen Politikern selten zuteil wird. Merkel schreibt mit ihrem Auftritt, dem eine Einladung der Obama-Parteifreundin und Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi vorausging, auch transatlantische Geschichte. Denn anders als Adenauer, der nacheinander beide Kammern adressierte, redet sie als erste deutsche Regierungschefin erstmals vor einer gemeinsamen Sitzung beider Häuser - eine Tradition, die Winston Churchill im Jahr 1941 begann und die drei deutsche Bundespräsidenten - Theodor Heuss (1958), Karl Carstens (1983) und Richard von Weizsäcker (1992) - fortsetzten.

Mit dem historischen Augenblick verbinden sich allerdings auch Erwartungen der Gastgeber. Schon vor dem Kongress-Auftritt der Kanzlerin dürfte US-Präsident Barack Obama in einem auf 60 Minuten angesetzten Frühstücks-Treffen im Weißen Haus ausloten, wie es um die deutsche Kooperationsbereitschaft für eine geänderte Afghanistan-Strategie steht. Für Merkel wiederum ist die Kontrolle der Finanzmärkte weiter ein Herzensanliegen. In erster Linie soll aber der Klimaschutz zur Sprache kommen. Im Weißen Haus hofft man darauf, dass vier Wochen vor dem Kopenhagener Klima-Gipfel Merkel die Gunst der Stunde nutzt, um vor den störrischen Parlamentariern an die Verpflichtung zu globalem Handeln zu erinnern - und damit eine Abmahnung in Richtung US-Senat zu senden, in dem das Klimaschutzgesetz Obamas immer noch feststeckt. Auch beim Treffen im Weißen Haus geht es um dieses Reizthema, mit dem sich eine düstere Vision verbindet: dass die USA mit leeren Händen nach Kopenhagen reisen. Für Merkel ist die gut 25-minütige Kongress-Rede jedoch auch ein Drahtseilakt: Dringt sie zu sehr auf Klima-Fortschritte, könnte dies die Gegner noch in ihrem Widerstand bestärken.

Manche sehen in den USA die Einladung an Merkel auch als "Kompensation" dafür, dass Barack Obama zwar kurzfristig für eine (gescheiterte) Olympia-Bewerbung nach Kopenhagen reiste, nun aber keine Lust verspürt, am 9. November in Berlin mit anderen ausländischen Würdenträgern des Falls der Mauer zu gedenken. Dies ist in Teilen der US-Medien kritisiert worden: Im Wahlkampf 2008 hatte Obama noch Zeit für eine Rede in Berlin vor 200 000 Menschen gefunden. Die Bundeskanzlerin hat aus ihrer eigenen Biografie heraus nun die Chance, persönliche Erinnerungen an die dramatischen Entwicklungen darzulegen und am Schluss, wie einst Adenauer, den Amerikanern für ihren Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung Danke zu sagen.

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