"Kein politisches Zeichen"

Saarbrücken. Der Kopftuchstreit war eines der bestimmenden Themen bei der Frühjahrstagung der katholischen Bischöfe in Bergisch-Gladbach. Sie konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Haltung verständigen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, spricht sich im Interview mit unserer Zeitung mit Nachdruck dagegen aus, das muslimische Kopftuch mit christlichen Symbolen gleichzusetzen.

Die Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe hat sich auch mit dem Kopftuch-Verbot beschäftigt. Sind die Bischöfe zu einer übereinstimmenden Meinung gekommen?Lehmann: Auch in unserer Aussprache haben die unterschiedlichen Argumente eine Rolle gespielt, die in der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Diskussion vorgebracht werden. Es geht nicht nur um die Frage der politischen oder religiösen Bedeutung des Kopftuches. Das Problem ist viel komplexer. Letztlich geht es sehr grundsätzlich um das Verhältnis zwischen Staat und Religion, um Religionsfreiheit und staatlichen Erziehungsauftrag. Es geht auch um Integration und kulturelle Identität. Diese Fragen sind noch nicht abschließend geklärt. Wir sind zu der Einschätzung gekommen, dass eine Lösung der entstandenen - aber auch der künftig zu erwartenden - Problemfälle auch nach dem Erlass von Ländergesetzen schwierig bleiben wird.Müssen Sie nicht fürchten, dass durch die Verbotsgesetze der Länder (keine Ungleichbehandlung der Religionen!) Kreuz oder Kutte aus den staatlichen Schulen verschwinden könnten? Lehmann: Wir gehen davon aus, dass christliche Traditionen und Symbole - und dazu gehören auch die Kleidung von Priestern und Ordensleuten - zu der gewachsenen Kultur unseres Landes gehören. Sie sind in hohem Maß von der verfassungsmäßigen Wertordnung geschützt, im Übrigen auch von Länderverfassungen. Ihre Gleichsetzung mit dem Kopftuch muslimischer Frauen oder anderen islamischen Zeichen und Gebräuchen weisen wir entschieden zurück. Sie sind schon gar nicht politische Zeichen.Hat Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen muslimisches Kopftuch-Verbot überrascht, das letztlich zu einer fortschreitenden Säkularisierung des öffentlichen Lebens führen könnte?Lehmann: Das Bundesverfassungsgericht hatte es nicht leicht. Und wenn man sich das Minderheitenvotum ansieht, hinter dem auch renommierte Verfassungsrichter stehen, erkennt man die Komplexität der Fragestellung. Ich sehe nicht, dass das Urteil zwangsläufig zu einer fortschreitenden Säkularisierung führen muss. Das Verhältnis zwischen dem Staat und den Kirchen ist in Deutschland ein anderes als etwa in Frankreich. Und es hat sich im Ganzen bewährt. Der Bundespräsident hat in seiner Rede zum Verhältnis zwischen Staat und Religion in Deutschland nochmals betont, dass die Neutralität des Staates in Religionsfragen nicht verwechselt werden darf mit einer Gleichgültigkeit des Staates und auch nicht mit Neutralität der Gesellschaft in diesen Fragen.Die katholische Kirche macht sich immer wieder für eine ungestörte Religionsausübung stark, steht andererseits allerdings skeptisch einem wachsenden konservativen Islam gegenüber. Wie ist der Widerspruch zu erklären?Lehmann: Die Religionsfreiheit ist ein sehr hohes Gut. Wir sind in den vergangenen Jahren sehr viel realistischer geworden, was die Religionsfreiheit in islamischen Staaten angeht. In Saudi Arabien ist es zum Beispiel noch immer verboten, öffentlich christliche Gottesdienste zu feiern. Auch bei unseren Gesprächen mit Vertretern verschiedener islamischer Gruppen spielt die Forderung nach freier Religionsausübung von Christen in islamischen Ländern heute eine größere Rolle. Gleichzeitig dürfen wir in unserem Land nicht die Augen davor verschließen, wenn die Religionsausübung im Widerspruch zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung steht. Die wechselseitige Gewährung der selben Rechte, also Reziprozität auch im juristischen Sinne, bleibt ein wichtiges Thema und eine unersetzliche Forderung.Das Interview führte unser Mitarbeiter Guido Peters.

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