Keine Lust auf ein neues Bürokratie-Monster

Brüssel · Die EU-Kommission will Hemmnisse für Dienstleister abbauen - und erntet Protest. Binnenmarktexperte Schwab hat eine Lösungsidee.

Brüssel Der Experte im Europaparlament für den Binnenmarkt, Andreas Schwab (CDU), hat einen Vorschlag gemacht, um den Streit um das Dienstleistungspaket zu entschärfen. Schwab, Berichterstatter im Binnenmarktausschuss zu einem Bereich des Pakets, will, dass die Kommission Abstriche macht bei ihrem Vorschlag. So sollen die Gesundheitsberufe bei der sogenannten Verhältnismäßigkeitsprüfung, die die Kommission bei neuen Reglementierungen seitens der Mitgliedstaaten für einen Beruf plant, ausgeklammert werden. Außerdem schlägt Schwab vor, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht grundsätzlich immer, sondern nur bei "wesentlichen Änderungen der bestehenden Regulierungen" vorgenommen wird. Schwab sagte gegenüber unserer Zeitung: "Die Kommission ist mit ihrem Vorschlag über das Ziel hin-ausgeschossen." Grundsätzlich bekennt er sich zu dem Ziel, Barrieren im Binnenmarkt für Dienstleister zu beseitigen. Es sei richtig, Regulierungen von Berufsbildern auf die Verhältnismäßigkeit zu überprüfen. Doch Schwab warnt: "Allerdings müssen wir darauf achten, dass wir mit der neuen Richtlinie keine neuen Bürokratie-Monster schaffen." Ziel seines Vorstoßes, der jetzt im Binnenmarktausschuss zur Diskussion gestellt wird, ist auch, den Mitgliedsstaaten mehr Spielräume bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung einzuräumen. Schwab spricht sich jedoch auch dafür aus, die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf den Bereich der Arbeitnehmerentsendung auszudehnen. Dies hätte zur Folge, dass regulatorische Veränderungen der Mitgliedstaaten im Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden. Vor allem in Deutschland hatte die EU-Kommission für ihre Vorschläge für ein Dienstleistungspaket viel Kritik geerntet. Die Kommission will damit den grenzüberschreitenden Markt für Dienstleister auf Trab bringen. Vor allem das Handwerk, aber auch der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) waren Sturm gelaufen. Beide Kammern in Berlin, Bundestag und Bundesrat, haben Brüssel vorgeworfen, die Kompetenzen zu überschreiten. Die Lobbyverbände sind der Meinung, dass das Dienstleistungspaket durch die Hintertür das Herkunftslandprinzip einführe, also künftig bei regulierten Berufen etwa im Handwerk oder bei Architekten, Anwälten, Steuerberatern, Patentanwälten und Bauingenieuren nicht mehr die hohen deutschen Standards gelten, sondern niedrigere Standards aus anderen EU-Ländern Einzug halten könnten. Das Handwerk sieht durch die Richtlinie sogar die Existenz des deutschen Meisterbriefes in Gefahr. Der Kritik aus dem deutschen Handwerk versucht Schwab mit seinem Vorschlag auch Rechnung zu tragen. So will er durchsetzen, dass die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer nicht unbedingt ein Kriterium ist, um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen. Schwab will vielmehr durchsetzen, dass die Pflichtmitgliedschaft in einer Kammer immer dann verhältnismäßig ist, wenn die Kammer einen öffentlichen Auftrag hat. Dies gilt für einen Großteil der freien Berufe in Deutschland. Die Kommission hatte vorgeschlagen, auf freiwilliger Basis eine elektronische Dienstleistungskarte einzuführen. Anbieter von Dienstleistungen sollen damit einen einzigen Ansprechpartner in ihrem Heimatland und ihrer Muttersprache haben, um die notwendigen Genehmigungen im Zielland einzuholen. KommentarMeinung

Die Richtung stimmtGerade die Deutschen müssten großen Wert darauf legen, dass Hemmnisse für Dienstleister im Binnenmarkt abgebaut werden. In der Bundesrepublik machen nämlich die Dienstleistungen, die Handwerker, Steuerberater, Anwälte, Ärzte und andere Berufe erbringen, bereits zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Doch die Dienstleister tun sich noch recht schwer damit, die nationalen Grenzen zu überschreiten. Vor allem die Sprache, aber auch andere rechtliche Grundlagen - etwa im Fall eines Steueranwalts andere Steuergesetze - machen es für viele von ihnen nicht gerade leicht, in einem anderen Land des Binnenmarktes tätig zu werden. Aus diesen Gründen wird es vermutlich noch lange so sein, dass der Warenaustausch über die alte nationale Grenze hinweg reibungsloser abläuft als der Austausch von Dienstleistungen. Da sollte eigentlich jeder Versuch der Kommission, Hürden abzubauen, willkommen geheißen werden. Daher ist der erbitterte Widerstand, den Verbände in Deutschland gegen das Dienstleistungspaket entfacht haben, nicht immer nachzuvollziehen. Zumal es bei der Kritik nicht immer um die Sache ging, sondern alte Klischees gegen "die da" in Brüssel wiederholt wurden. Nüchtern betrachtet muss man auch sagen, dass Deutschland durch die geplanten Veränderungen gar nicht so stark betroffen wäre wie andere Mitgliedstaaten. In Deutschland ist nämlich die Zahl der regulierten Berufe mit 150 vergleichsweise klein. Offensichtlich hat aber auch bei den Lobbyisten ein Prozess des Umdenkens eingesetzt, sie haben ihre Aktivitäten in der Sache deutlich heruntergefahren. Umso besser ist, dass nun die Dinge auf der sachlichen Ebene wieder in Bewegung kommen und an Kompromissen gearbeitet wird. Oberstes Ziel muss aber auch sein, zu einer unbürokratischen und praktikablen Regelung vor Ort zu kommen. Denn eine Reform, die im Dienstleistungsbereich keinen Mehrwert beschert, wäre zum Scheitern verurteilt.

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