Keine närrische Laune beim Landesparteitag der Grünen

Andernach/Trier · Die rheinland-pfälzischen Grünen beharren auf Klimazielen. Den Moselaufstieg lehnen sie ab, für die in der Kritik stehende Ministerin Anne Spiegel fordert der Landeschef mehr Rückhalt.

Wer am 11.11. um 11 Uhr einen Parteitag startet, muss damit leben, vom Karneval eingeholt zu werden. Wie bei den rheinland-pfälzischen Grünen, die am Wochenende in Andernach getagt haben: Ein Delegierter sitzt mit Narrenmütze im Saal, Europapolitiker Reinhard Bütikofer trudelt zu spät ein, weil er vor Köln, wen wundert's, im Stau stand. Nach Narrhallamarsch und Kamelle steht Bütikofer aber nicht der Sinn, als er vor den Landes-Grünen spricht, mit müden Augen, weil ihm das Ringen um die Jamaika-Koalition im Bund sichtlich zusetzt. Er habe in den Medien gelesen, es herrsche in strittigen Fragen bereits große Verständigung. "Kann ich nicht bestätigen", knurrt Bütikofer. Ministerposten? Darüber sei nicht mal diskutiert worden. Und dass Jamaika alternativlos sei, könne er auch nicht sagen.

Bütikofer macht klar: Die Grünen müssen Kröten schlucken, ein Ziel geben sie aber nicht auf. "Mit dem Kohleausstieg ist es uns so ernst wie bei der Abkehr von den Atomkraftwerken mit der SPD."

Damit findet Bütikofer Widerhall im Land. Die gut 200 Delegierten verabschieden den Antrag, wonach ein Jamaika-Bündnis in den kommenden vier Jahren die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke vom Netz nehmen soll. Die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner sagt, die Klimaziele seien nicht verhandelbar. Die Landesvorsitzende Jutta Paulus fragt: "Bremsen Sie, wenn Sie mit 100 Stundenkilometern auf eine Wand zufahren? Und 97 Prozent der Wissenschaftler sagen, sie sei aus Beton - und drei Prozent sprechen von Styropor?"

Ohnehin lohne sich der Kampf für saubere Luft, Flüsse und weniger stinkende Autos. Dafür lasse sie sich gerne den Vorwurf gefallen, die Grünen malten immer den Teufel an die Wand. Für die Worte erntet Paulus anhaltenden, lauten Applaus.

Auch der Landtagsabgeordnete Daniel Köbler warnt vor Jamaika. Er sei zwar ein Bob-Marley-Fan, "aus verschiedenen Gründen, auch musikalisch", wie er sagt. Aber, so mahnt er: "Wer sorglos nach Jamaika segelt, findet sich im Bermuda-Dreieck wieder." Kritik äußern die Landes-Grünen besonders an der Bundes-FDP und an deren Vorsitzendem Christian Lindner. Bernhard Braun, Fraktionsvorsitzender in Rheinland-Pfalz, nennt ihn ein "Politiker gewordenes Feinripp-Unterhemd", bei dem nicht immer erkennbar sei, ob er verstehe, worum es wirklich geht.
Landespolitisch, wo die Grünen mit den Liberalen und der SPD regieren, vertrauten sich die Parteien mehr, sagt Braun.

Der Landesvorsitzende Josef Winkler stellt aber klar, dass er sich auch in Mainz einen stärkeren Zusammenhalt fordert. Er wünsche sich, dass beide Koalitionspartner stärker der Grünen-Integrationsministerin Anne Spiegel zur Seite springen sollen, die von der Opposition zuletzt wegen des Ausbruchs eines Abschiebehäftlings in Alzey in die Kritik geraten war. Die Rückendeckung sei "ausbaufähig", findet Winkler. Und meint: "Wir Grüne haben uns immer hinter andere Minister gestellt, die in der Kritik standen."

Politisch setzen die Grünen in Anträgen darauf, das Bio-Essen in Schulen und Kindertagesstätten auszuweiten. Dafür soll auch der Anteil der Öko-Landbaus von gut neun Prozent auf mittelfristig 20 Prozent steigen. Darüber hinaus fordern sie auch eine Grundsicherung für jedes Kind und mehr Zeit für Familien.

Den Moselaufstieg, den FDP-Verkehrsminister Volker Wissing bis 2020 verwirklichen will, lehnen sie als "Affront gegen alle Triererinnen und Trierer" ab. Hunderte von Millionen würden in eine "natur- und klimazerstörende Infrastruktur gesteckt", heißt es in einem Antrag, den die Delegierten mehrheitlich zustimmen.

Finanziell unterstützen will der Landesverband auch Stadt- und Kreisverbände, um gemeinschaftliche Geschäftsführer für die Organisation zu finden. Landeschefin Jutta Paulus sagt, das könne kommunale, ehrenamtliche Helfer bürokratisch entlasten und mehr Zeit für politische, inhaltliche Arbeit bringen. Pilotprojekte sollen ab dem kommenden Jahr anlaufen. Davon erhoffen sich die Grünen im Land einen Schub bei den Mitgliederzahlen, die derzeit bei etwa 3070 liegen.

Es brauche künftig mehr Einnahmen, sagt die Schatzmeisterin, zumal im Jahr 2021 in Land und Bund gewählt werde. Nach momentanen Schätzungen würden die Geldbestände der Landes-Grünen daher bis 2022 von nun gut 180.000 Euro auf 49.700 Euro schrumpfen. So weit dürfe es nicht kommen, weil dann Liquiditätsschwierigkeiten drohten.

Klöckner sieht Land bei Abschiebungen in Pflicht

Die rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner fordert eine Gesetzesänderung, um die Zuständigkeit für Überwachung und Abschiebung beim Land anzusiedeln.

"Nur so kann ohne ständige Diskussionen in eilbedürftigen Fallkonstellationen die öffentliche Sicherheit in diesem Bereich gewährleistet werden", sagt Klöckner.

Die Flucht des gefährlichen Abschiebehäftlings Hicham B., der nach dem Ausbruch aus einer psychiatrischen Anstalt in Alzey nach wie vor nicht gefasst ist, hätte Sicherheitslücken offenbart. Das Land kündigte auch an, dass gefährliche Abschiebehäftlinge künftig von der Polizei bewacht werden sollen und nicht von privaten Sicherheitsfirmen, wie in Alzey geschehen.

Diese hätten ohnehin keinen Zwang gegen den Mann anwenden dürfen, teilte das Ministerium mit.

Meinung Die Grünen fürchten um ihre politische Identität

Warum Jamaika kein Bündnis fürs Leben wäre.

Wer eine mögliche Jamaika-Koalition bislang mit romantischen Erwartungen des Neuen, Unbekannten versehen hat, muss sich spätestens seit diesem Wochenende getäuscht sehen. Grüne wie Jürgen Trittin machen immer unverhohlener klar, Union und FDP einen Korb verpassen zu können, sollten die möglichen Koalitionspartner nicht schleunigst auf die grünen Bedürfnisse eingehen.

Es wäre zu einfach, die Offensive als Säbelrasseln abzutun. Grundsätzlich zeigte sich beim rheinland-pfälzischen Landesdelegiertentag in Andernach schon, dass die Basis das Jamaika-Bündnis mehrheitlich nicht offenkundig ablehnt. Doch die Furcht, sich zu sehr zu verbiegen und die politische Identität zu verlieren, sitzt tief. In der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 stimmten die Grünen in der Regierung dem Bundeswehr-Einsatz im Kosovo zu und der Agenda 2010. Die Folge: Mitglieder traten massiv aus der Partei aus. Vergessen haben die Grünen die schmerzhaften Erfahrungen nicht.

Bei Jamaika scheint noch schwerer abzusehen, in welche Richtung sie steuern würden. Als Juniorpartner unter Bundeskanzlerin Angela Merkel haben schon SPD und FDP als Juniorpartner bitterböse Abstürze in der Wählergunst erlebt. Inhaltlich dürfte es zum Abenteuer werden, gerade in der Flüchtlingspolitik mit der CSU übereinzukommen.
Die wenigsten Kompromisse, das deutet sich an, werden die Grünen bei den Klimazielen eingehen, die die Parteiseele besonders umtreiben. Der Landesverband fordert, in einer Koalition die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke in der Legislaturperiode vom Netz zu nehmen. Die rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Jutta Paulus erntete lauten Applaus, als sie ein flammendes Plädoyer für die Klimaziele hielt. Europapolitiker Reinhard Bütikofer stellte klar, die Frage sei den Grünen so wichtig wie einst der Atomausstieg. Kröten muss die Partei schlucken, beim Klima wird sie dazu kaum bereit sein, um nicht die Basis zu verprellen.

Trotz der Missstimmung dürfte es am Ende - wenn auch eher getrieben aus Sorge vor Neuwahlen bei allen Seiten und einer dann vielleicht noch stärkeren AfD - zu dem Jamaika-Bund kommen.

Ein Bund fürs Leben dürfte es eher nicht sein. Die momentane Missstimmung verdeutlicht nämlich, dass Jamaika eine zweckmäßige, wenig leidenschaftliche Beziehung wäre. Eine Beziehung, die Gefahr läuft, die ganz großen politischen Würfe vermissen zu lassen.

f.schlecht@volksfreund.de

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