"Keiner ist Stimmvieh"

TRIER. Wenn hierzulande Gerichte "im Namen des Volkes" Recht sprechen, ist das Volk oft unmittelbar beteiligt. Bei vielen Kammern tragen Laienrichter oder Schöffen zur Rechtsfindung bei. Eine spannende Aufgabe.

Es geht heiß her vor dem Strafgericht, das Verfahren ist in einer entscheidenden Phase. Der Schöffin im roten Kleid, die bei der fünfköpfigen Kammer rechts außen sitzt, ist irgend etwas aufgefallen. Aufgeregt signalisiert sie der neben ihr sitzenden Berufsrichterin, dass sie gern etwas fragen würde. Doch die Frau im Talar winkt barsch ab, bedeutet ihrer Nachbarin: "Jetzt nur nicht stören". Auch später fordert niemand mehr sie auf, ihre Frage zu stellen. Der Vorsitzende Richter hat den Vorfall gar nicht bemerkt. Und die Laienrichterin hat offenkundig wenig Lust, als Verfahrenshindernis zu gelten, und zieht es vor, zu schweigen. Wer Strafprozesse vom Gerichtssaal aus betrachtet, könnte schnell auf den Gedanken kommen, die beiden Vertreter des "gewöhnlichen" Volkes, die da oben neben den Juristen sitzen, seien ein eher folkloristisches Element. Stumm verfolgen sie das Verfahren, bemüht, die vorgeschriebene Neutralität durch ein möglichst unbeteiligtes Mienenspiel zu dokumentieren. Doch der Eindruck trügt. Die große Stunde der Laienrichter beginnt, wenn sich die Kammer in den meist engen, schmucklosen Beratungssaal zurück zieht und über die Urteilsfindung berät. Er habe "am Anfang auch gemeint, wir seien nur Abnicker", erzählt Josef Weirich, der beim Landgericht als Schöffe amtiert. Bis dann "der Richter zum ersten Mal gefragt hat: Was meinen Sie?" Weirich, der seit vier Jahren dabei ist, lobt die "kameradschaftliche Zusammenarbeit" mit den Profi-Richtern, und die meisten seiner Kollegen sehen das genau so. "Keiner ist Stimmvieh, jede Meinung zählt gleich viel", sagt der Tawerner.So unbefangen wie möglich in das Verfahren

Genau so ist es bei Strafprozessen auch gewünscht. Vorfeld-Informationen über die Verfahren gibt es nicht, "wir sollen so unbefangen wie möglich die Anklageverlesung und die Beweisaufnahme verfolgen", erzählt Weirich. "Schöffen sollen allein mit ihrem gesunden Menschenverstand entscheiden", betont Armin Hardt, Pressesprecher am Landgericht. Sein Kollege Werner von Schichau, Direktor des Bitburger Amtsgerichts, wird noch anschaulicher: Die Laienrichter hätten die Aufgabe, "durch ihre unbelastete Sichtweise den oft ‚betriebsblinden' Berufsrichtern bei der Entscheidung zu helfen". Anders als etwa die Jury im anglo-amerikanischen Rechtssystem sind die Laien in Deutschland nicht nur auf die Frage beschränkt, ob jemand schuldig ist oder nicht. Sie reden auch beim Strafmaß mit. Und sie können nicht einfach überstimmt werden: Bei der kleinen Besetzung (ein Berufs- zwei Laienrichter) sind sie sie eh in der Überzahl, und bei der großen (drei Berufs-, zwei Laienrichter) bedarf es einer Zweidrittelmehrheit. Rechtlich gesehen sind sie ganz normale Richter. Verhalten sie sich falsch, kann das einen Prozess zum Platzen bringen. Deshalb gibt es zum Start eine Art "Belehrung". Fortbildung wird angeboten, aber auch praktischer Anschauungsunterricht wie ein Besuch in der JVA. 180 Laienrichter gibt es beim Landgericht Trier, 100 beim Amtsgericht. Nimmt man Verwaltungs, Sonder- und ländliche Amtsgerichte hinzu, dann amtieren rund 500 Ehrenamtliche in der Justiz der Region. Meist werden sie über ihre Gemeinden vorgeschlagen und von einem Ausschuss gewählt. Wer "drin" ist, wird für etwa zehn Termine pro Jahr ausgelost, die dann ohne trifftige Entschuldigung auch verpflichtend sind. Weil niemand weiß, welches Verfahren am jeweiligen Termin ansteht, kann es auch sein, dass man einen größeren Prozess "erbt". So wie Josef Weirich: "Ich war plötzlich drin in einem Riesen-Verfahren, und dann musste ich das auch durchziehen." Da waren Zusatz-Termine für Weirich und seinen Arbeitgeber, der ihn laut Gesetz freistellen muss, einzuplanen.Für Gerichtstermine vom Arbeitgeber freigestellt

Auch Werner Kremer hat in den letzten 25 Jahren manchen Arbeitstag ausfallen lassen. Der 64-jährige Handwerksmeister ist Beisitzer beim Arbeitsgericht und musste sich selbst frei geben. "Das war nicht immer leicht", sagt er. Bei Arbeits- und Sozialgericht werden die beiden Laienrichter jeweils paritätisch von den konkurrierenden Interessenverbänden vorgeschlagen. "Sie sind trotzdem allein der Sache verpflichtet", versichert Arbeitsgerichts-Direktor Karl-Heinz Radünzel. So sieht das auch Werner Kremer: Amüsiert erinnert er sich daran, "dass in manchen Verfahren der Arbeitgebervertreter für den Arbeitnehmer plädiert hat und umgekehrt". Gelegentlich habe man sogar gemeinsam den Richter überstimmt. Aber das, schmunzelt er, "ist in 25 Jahren zwei Mal vorgekommen".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort