Köpfe und Strategien

MAINZ. Im Landtagswahlkampf fällt es SPD wie CDU nach Einschätzung des Lan-dauer Politikwissenschaftlers Ulrich Sarcinelli schwer, ihre Anhänger zu mobilisieren. Die große Koalition und thematische Überschneidungen verhinderten eine Polarisierung, äußerte der Parteienforscher im Interview mit dem TV. Zudem erschweren nach seiner Einschätzung Siegeszuversicht bei der SPD und Skepsis im CDU-Lager die Wahl-Motivation.

Der Landtagswahlkampf plätschert eher vor sich hin - ohne das Wahlvolk sonderlich aufzuwühlen. Sind die Wähler noch von der Bundestagswahl übersättigt und wahlmüde?Sarcinelli: Ob die Wähler wahlmüde sind, wird die Wahlbeteiligung zeigen. Jedenfalls sind die Rahmenbedingungen für den Wahlkampf nicht gerade geeignet für eine starke Mobilisierung. Winterwahlkämpfe verlaufen eher zäh, und bundespolitisch verhindert die große Koalition eine scharfe landespolitische Polarisierung. Das sind schlechte Voraussetzungen für spektakuläre Wahlschlachten. Außerdem scheint die Einschätzung der Erfolgschancen in beiden Lagern mobilisierungshemmend zu wirken. Bei der SPD aufgrund von Siegeszuversicht und bei der CDU aufgrund von verbreiteter Erfolgsskepsis. Fehlen Themen, die Emotionen wecken, wenn sich alle als Bildungs- und Familienpartei anbieten?Sarcinelli: Insbesondere die beiden großen Parteien konkurrieren auf den gleichen Politikfeldern. Weil aber die Unterschiede eher gradueller als prinzipieller Natur sind, muss man schon genau hinschauen, um politische Alternativen zu entdecken. Geht man nach den - weitgehend gleich lautenden - Umfragen, wären die Wahlen ja bereits gelaufen. Wie verlässlich sind die Stimmungsbarometer?Sarcinelli: Umfragen messen aktuelle Stimmungen und nicht zukünftiges politisches Verhalten. Zugleich wissen wir aus den letzten Wahlen, dass sich viele Wählerinnen und Wähler immer später entscheiden. Das erschwert Prognosen und sollte zu Vorsicht mahnen. Die SPD setzt voll und ganz auf ihren Ministerpräsidenten. Reicht es, Beck zum Programm zu machen?Sarcinelli: Aus Sicht der SPD wäre es ein strategischer Fehler, Bekanntheit sowie Amts- und Sympathiebonus des Ministerpräsidenten politisch nicht im Wahlkampf zu nutzen. In der Landespolitik gibt es keinen vergleichbaren Personalisierungsfaktor. Und bekanntermaßen lassen sich Köpfe leichter vermitteln als Inhalte. Herausforderer Böhr will vor allem die enttäuschten CDU-Anhänger von 2001 zurückgewinnen. Ist das eine Erfolg versprechende Strategie?Sarcinelli: Dies ist eine zwingende Strategie. Die Union kann nur erfolgreich sein, wenn es ihr gelingt, ihre Stammwähler zu mobilisieren und einen Teil der Wechselwähler neu oder wieder zu gewinnen. Gibt es einen Merkel-Bonus auch für die Landes-Union?Sarcinelli: Erstaunlicherweise hat sich dieser Bonus jedenfalls in der messbaren politischen Stimmungslage im Lande bisher nicht niedergeschlagen. Vielmehr scheint es so, dass der Landtagswahlkampf unter bundespolitisch gleichsam neutralisierten Rahmenbedingungen stattfindet. Locken Wahlversprechen für mehr Lehrer, mehr Polizisten und für kostenlosen Kindergarten an die Urne?Sarcinelli: Dies sind landesspezifische Kompetenzfelder, in denen die Bürger von den Parteien politische Aussagen erwarten dürfen. Ob die gemachten Versprechen ernst genommen werden, hängt dann aber vor allem von Kompetenzzumessung und Glaubwürdigkeit der Parteien und Akteure ab. Die FDP setzt nicht zuletzt auf den Wählerprotest gegen Schwarz-Rot in Berlin. Hat das Aussicht auf Erfolg?Sarcinelli: Jedenfalls bietet sich damit für eine Partei als kleinerer und deshalb auch weniger sichtbarer Koalitionspartner die Chance, auf andere Koalitionskonstellationen und auf landespolitische Gegengewichte aufmerksam zu machen. Bei der speziellen Klientel der FDP dürfte dies durchaus auf Resonanz stoßen. Hat die WASG als Protestpartei ihren Höhepunkt bereits hinter sich, oder ist sie ein Anwärter für den Landtag?Sarcinelli: Derzeit spricht mehr dafür, dass die WASG den Einzug in den Landtag nicht schafft. Rheinland-Pfalz ist politisch-kulturell und auch strukturell ein schwieriges Pflaster für eine linke Protestpartei. Gleiches gilt auch für die Grünen, selbst wenn sie sicherlich die Fünf-Prozenthürde deutlich überspringen werden. Können Wechselstimmungen noch in den letzten 100 Stunden aufkommen und Überraschungsergebnisse produzieren?Sarcinelli: In der Politik ist zwar nichts unmöglich, aus wahlsoziologischer Sicht erscheint dies allerdings derzeit eher unwahrscheinlich. * Das Interview führte unser Redakteur Joachim Winkler.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort