Kontext nicht ausreichend geprüft

TRIER. Das Thema "Krumme 13" lässt der Trierer Justiz keine Ruhe. In wenigen Monaten werden Dieter G. und Ilja S. zum dritten Mal vor Gericht stehen - diesmal unter für sie günstigeren Vorzeichen.

Selten waren die Meinungen in Trierer Gerichtssälen so heftig aufeinander geprallt wie im September 2003 beim "Krumme 13"-Berufungsverfahren vor der 1. Kleinen Strafkammer des Trierer Landgerichts. Gestritten wurde über ein Urteil des Amtsgerichts, das die beiden Angeklagten des Verbreitens pornografischer Schriften für schuldig befunden und Freiheitsstrafen von acht und sechs Monaten, letztere ohne Bewährung, verhängt hatte. Die Beweisaufnahme wurde zur erbitterten Schlacht, an deren Ende die Verteidiger ihr Mandat demonstrativ niederlegten. Richter Gernot Kieselbach befand, die erstinstanzliche Entscheidung sei "ein sehr gutes Urteil" gewesen, dessen Begründung er "ohne Abstriche übernehmen" könne. Die Anwälte Claus Pinkerneil und Leonhard Graßmann machten hingegen keinen Hehl aus ihrer Auffassung, ein solches Urteil werde "außerhalb von Trier keinen Bestand haben". Ihre beim Oberlandesgericht Koblenz eingelegte Revision gibt ihnen nun vorläufig recht. Die formalen Revisionsgründe wurden beim OLG erst gar nicht geprüft, nachdem die Kammer schon bei der inhaltlichen Kontrolle des Urteils zu der Auffassung gekommen war, es halte "einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand". Die Begründung der Oberrichter entspricht einem zentralen Kritikpunkt, den die Verteidigung im Laufe des Verfahrens mehrfach geäußert hatte. Die Trierer Kammer habe versäumt, in ihren Darlegungen zum Urteil die unerlässlichen "Angaben über den Gesamtzusammenhang des inkriminierten Berichts" zu machen. Genau diese Notwendigkeit hatten die Trierer Gerichte in beiden Verfahren bestritten. Die Veröffentlichung eines "Erlebnisberichtes" über sexuelle Erfahrungen eines Elfjährigen mit erwachsenen Männern im Internet reiche an sich bereits aus, schließlich könnten potenzielle Interessenten den Text abrufen, ohne den Zusammenhang überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. "Wenn Pädophile diesen Text lesen, wird es ihnen nicht nur warm ums Herz, sondern auch woanders", hatte die Amtsrichterin salopp formuliert, und eben das sei pornografisch.1000 Dateien müssen müssen einbezogen werden

Beim Oberlandesgericht liest sich das deutlich anders. "Nach einhelliger Rechtsansicht" sei der Kontext von erheblicher Bedeutung für die Bewertung, ob ein Text pornografisch sei oder nicht. Das gelte nach herrschender Meinung auch für Texte, die sich mit der Darstellung sexuellen Missbrauchs von Kindern beschäftigen. Die Verteidiger hatten beim Landgericht vergeblich beantragt, die komplette Sammlung von über 1000 Dateien, in deren Rahmen der strittige Bericht veröffentlicht worden war, ins Verfahren einzuführen. Die Angeklagten hatten argumentiert, es handele sich um wissenschaftliche und dokumentarische Texte. Ob dem so ist, wird nun eine andere Kammer des Trierer Landgerichts prüfen müssen. Wegen des Versäumnisses sei es dem OLG "nicht möglich zu prüfen, ob der pornographische Charakter des Berichts zu Recht bejaht worden ist". Deshalb werde das Urteil aufgehoben und die Sache "zu neuer Verhandlung zurückverwiesen". Erfahrungsgemäß dauert es einige Monate bis zur Eröffnung des neuen Verfahrens.

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