Krank, nicht kriminell

TRIER. Keine Verurteilung, aber eine Einweisung in die Psychiatrie: So lautet das Urteil im Prozess gegen den Brandstifter, der vier Mal einen Müllcontainer im Keller eines Wohnhauses in Brand gesteckt hatte. Doch das Gericht und der Sachverständige bauten dem 39-Jährigen Trierer auch Brücken.

Ein Freispruch: Damit ist ein Angeklagter normalerweise am Ziel seiner Wünsche. Doch Dieter M. hat sich den ganzen Prozess lang gegen eine solche Absolution gewehrt. Denn einen Freispruch konnte es für ihn, der seine Taten längst eingeräumt hatte, nur um den Preis des Paragrafen 20 des Strafgesetzbuchs geben, der die "Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen" regelt, im Volksmund aber immer noch "Jagdschein" heißt. "Ich bin nicht verrückt", hat Dieter M. in den vier Prozesstagen ein übers andere Mal gesagt - die Angst, auf Nimmerwiedersehen in der Psychiatrie zu landen, war offenbar größer als die vor einem zeitlich begrenzten Gefängnisaufenthalt. Das Gericht hat sich gründlich mit ihm beschäftigt. Seine traurige Kindheit, die Probleme im Umgang mit anderen, die Mühe, allein zurechtzukommen. Sein Intelligenzquotient liegt am unteren Rand des Durchschnitts, geistig behindert ist er nicht. Wo ihm jemand weiterhilft, kriegt er einiges auf die Reihe: Eine eigene Wohnung, einen Job bei der Lebenshilfe, eine langjährige Beziehung, die kurz vor der in seinem Kopf schon detailliert geplanten Hochzeit zerbricht. Wenn ihm Probleme über den Kopf wachsen, dann fehlen Dieter M. die Regelungs-Mechanismen. So wie im Herbst 2004, als der Ärger um Baumängel in seiner Wohnung eskaliert. Vielleicht geht er deshalb nachts in den Keller und zündet die Müllbehälter an. Vielleicht sucht er aber auch nur Aufmerksamkeit, wenn er der Feuerwehr beim Löschen hilft. Seit er in dem 80-Einwohner-Haus lebt, häufen sich auch die Fehlalarme.Auch der Sachverständige löst nicht alle Rätsel

"Offensichtlich ist, dass nichts so richtig offensichtlich ist bei Herrn M.", sagt der Psychiater Wolfram Schumacher-Wandersleb mit entwaffnender Ehrlichkeit. Das liegt aber auch daran, dass der misstrauische Angeklagte sich auf nichts einlässt, immer wieder Ausflüchte sucht, logisch zwingende Einsichten verweigert. Ob er nicht will oder nicht kann: Das Gutachten lässt die Frage offen. Aber in einem zentralen Punkt legt sich der Psychiater fest: M. leide an Pyromanie, einem pathologischen Zwang zur Brandstiftung, der freilich nur unter bestimmten Bedingungen zum Tragen komme. Aufgrund dieser "Impulskontrollstörung" könne die Schuldunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden. Damit ist der Ausgang des Verfahrens vorgezeichnet, auch wenn die Erste Große Strafkammer des Landgerichts das letzte Wort hat. Freispruch und Einweisung in die Psychiatrie, nicht als Strafe, sondern als "Maßnahme der Besserung und Sicherung", wie es im Gesetz heißt. Aber Schumacher-Wandersleb baut in seinem Gutachten auch Brücken, emotionale und praktische. "Sie sind nicht verrückt", ruft er dem Angeklagten zu, Dieter M. handele "nicht wahnhaft", leide aber unter einer Persönlichkeitsstörung, die behandelt werden müsse. Die schwierige Differenzierung kommt tatsächlich an im einfachen Gemüt des Dieter M. Er akzeptiert das Urteil, verzichtet auf Rechtsmittel, auch unter dem positiven Einfluss seiner engagierten Verteidigerin Kathrin Munsch. Im Gegenzug ist von einer gelockerten Unterbringung im Andernacher Nette-Gut die Rede, von einer Überprüfung nach sechs Monaten, vom Knüpfen gezielter Kontakte in die Trierer Heimat. Es sieht so aus, als hätte Dieter M. doch noch eine Chance.

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