Mann mit zweifelhafter Mission

TRIER. Dass dem Amtsgericht so viel Aufmerksamkeit zu Teil wird wie gestern in Trier, ist eine Seltenheit. Der spektakuläre "Fall Gieseking" sorgte nicht nur für Medien-Auftrieb, sondern auch für ein ungewöhnliches Verfahren.

 Die Akte Gieseking: Der vorbestrafte "Krumme-13"-Chef muss hinter Gitter, wenn das Urteil gegen ihn rechtskräftig wird.Fotos: Friedemann Vetter

Die Akte Gieseking: Der vorbestrafte "Krumme-13"-Chef muss hinter Gitter, wenn das Urteil gegen ihn rechtskräftig wird.Fotos: Friedemann Vetter

Dieter Gieseking ist nicht nur Angeklagter, er hat auch eine Mission. Deshalb steht er schon eine halbe Stunde vor Verfahrensbeginn vor dem Gerichtssaal, spricht Medienleute an, debattiert, stellt sich Leuten, die ihn nach lautstarkem Bekunden "am liebsten kastrieren" lassen würden. Dabei sieht der 47-Jährige nicht aus wie ein Hass-Objekt. Klein, Brille, ein Spitzbart Marke Jürgen von der Lippe, ohne die auffällige Halskette könnte er auch als Schalterbeamter oder Briefträger durchgehen. Wäre da nicht der pausenlose Drang, Menschen davon zu überzeugen, dass sexuelle Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen etwas Gutes sein können. Letztlich steht er genau deshalb vor Gericht. Der "pornographische Text", den er laut Anklage im Internet verbreitet haben soll und den die Richterin im Wortlaut verliest, könnte von der Terminologie her in jedem Lore-Roman stehen, wäre der fiktive Autor nicht elf Jahre alt. Eine schwülstige, getürkt autobiographische, bis ins Kitschige idealisierte Erzählung, die eine vermeintlich intakte Liebesbeziehung zwischen einem Kind und einem Erwachsenen erzählt. Peinlich ja, aber pornographisch? Da huscht im Zuschauerraum ein Lächeln über manches Gesicht. Das Publikum im Saal, über dessen Köpfen kaputte Neonröhren flackern und knistern, ist geteilt: Mißbrauchs-Opfer sind da, die hoffen, dass Gieseking und seiner Organisation "Krumme 13" das Handwerk gelegt wird, aber auch Unterstützer, die die Intentionen des Angeklagten teilen. Kein Urteil über die Gesinnung

Richterin Lisa Winterholler ist auf der Hut: Es gehe "nicht um Gesinnung", sondern um "diffizile Rechtsfragen", sagt die junge Juristin gleich zu Beginn kategorisch. Und sie hält das eisern durch, unterbindet jede Abschweifung, demonstriert Distanz. "Das ist aber nett", sendet Dieter Gieseking Freundlichkeits-Signale Richtung Richtertisch, als er für seine Aussage auf der Anklagebank sitzen bleiben darf. "Das ist nicht nett, das ist immer so", kommt es betont ungerührt zurück. Auch Gieseking-Anwalt Ernst Medecke, aus Hamburg angereist, verhindert jeden der zahlreichen Versuche seines Mandanten, zu Grundsatzerklärungen auszuholen, rigoros - notfalls mit drastischen Mitteln. Seine Strategie ist klar: Gieseking habe den Text auf der Homepage nicht gekannt, eine Überprüfung der vom Mitangeklagten Ilja S. eingestellten Texte sei nicht zumutbar gewesen, sein Mandant mithin unschuldig. Da würde es nur schaden, wenn Gieseking, dem das Ruhigbleiben von Minute zu Minute schwerer fällt, Allgemeingültiges zum Besten gibt. So sitzt der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann und ehemalige Grenzschutz-Polizeimeister in seiner Bank und klappert nervös mit den Augenlidern. Vor allem, als Staatsanwalt Thomas Albrecht einerseits bekundet, Gesinnung sei nicht strafbar, andererseits aber einen umfassenden verbalen Bogen von belgischen Kinderschändern und Saarbrücker Mördern bis hin zu Giesekings "Krummer 13" zieht. Dem erfahrenen Ankläger ist offenbar bewusst, auf welch schwachen Füßen der Pornographie-Vorwurf steht, und deshalb zieht er "das Umfeld" heran. Ein Text, der in anderem Kontext "durchaus als harmlos" gelten könnte, sei in Zusammenhang mit der Werbung für die Freigabe von Pädophilie eben "ganz anders zu bewerten". Er vermisse die "klare Distanzierung vom Inhalt des Textes", lockt er Gieseking noch einmal - aber der schweigt. Unterdessen wird es im Saal immer leerer. Kein Wunder, das Verfahren gerät zeitweise zu einem Seminar über Internet-Kommunikation. "Webmaster", "Provider", "Webspace", "Domains", "Links": Es geht um die Frage, wer für Veröffentlichungen im Internet eigentlich verantwortlich ist. Scheinbar niemand, jedenfalls nicht Dieter Gieseking: Von diesen Fragen "verstehe ich nichts", zuckt er die Schultern. Ein "System der Verschleierung", das typisch sei für beanstandenswerte Web-Inhalte, sagt Staatsanwalt Albrecht. "Beanstandenswert" - kein Begriff von der Sorte, wie ihn Juristen verwenden, wenn sie sich auf der sicheren Seite glauben. Dennoch legt die Anklage im Plädoyer ihre Strafforderung so an, dass sich der Ermittlungsaufwand rechtfertigen lässt. Ein Text "könne doch nicht erst durch das Umfeld zur Pornographie werden“, halten Anwalt Medecke und der Mitangeklagte S. dagegen.Am Ende stellt sich die Richterin erstaunlich uneingeschränkt auf die Seite der Anklage. Manchen mag das überraschen, nicht aber Dieter Gieseking. Er weiß ja, dass sich die ganze Welt gegen ihn verschworen hat. So ist das oft bei Menschen, die eine Mission haben.

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