Minister Frieden kennt kein Pardon

Luxemburg. Das Großherzogtum ist ein multikulturelles Land: Etwa jeder dritte Einwohner stammt nicht aus Luxemburg. Trotzdem wird im "Ländchen" rigoros abgeschoben.

Als Suada Mulic aufwachte, stand die Polizei vor ihrer Tür. Etwa15 Beamte waren um sechs Uhr morgens zu dem Gasthof in denkleinen luxemburgischen Ort Aspelt gekommen, wo die Jugoslawinwohnt. Die Polizisten gingen an ihr vorbei in das Haus, wo IzetKorac mit seiner Frau und seinen vier Kindern wohnte. Während Suada Mulic erzählt, klingt ihre Stimme verzweifelt. Keine anderthalb Stunden hätte die Flüchtlingsfamilie aus der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro Zeit gehabt, um ihre Sachen zu packen. Dann seien sie in eines der drei Polizeifahrzeuge gesteckt worden. "Wohin gehen wir", habe eines der Kinder gefragt. Daraufhin der Vater: "Wir gehen nach Hause - nach Jugoslawien."

Hundert Flüchtlinge gingen freiwillig

Izet Korac und seine Familie gehörten zu jenen 45 Flüchtlingen, die seit November aus dem Großherzogtum abgeschoben wurden. Wie die meisten Montenegriner waren sie während des Kosovo-Krieges nach Luxemburg gekommen. Koracs Söhne Emir und Admir gingen dort zur Schule, der fünfjährige Damir besuchte den Kindergarten. Die Kinder sprechen heute alle lëtzebuergisch, das jüngste ist sogar in Luxemburg geboren. Eine Maschine der belgischen Fluggesellschaft VLM brachte die Familie zusammen mit weiteren abgelehnten Asylbewerbern in die montenegrinische Hauptstadt Podgoriza.

Der Aufschrei in den Medien des kleinsten EU-Staats war groß, und der so genannte Flüchtlingsrat, ein Zusammenschluss aus zwölf luxemburgischen Flüchtlingshilfsorganisationen, reagierte empört über die "Nacht- und Nebelaktion". Luxemburgs Justizminister Luc Frieden ließ sich jedoch nicht beirren: Der als Hardliner bekannte christsoziale Politiker beruft sich auf eine im vergangenen Sommer unterzeichnete Vereinbarung der Benelux-Staaten mit der Regierung in Belgrad zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Friedens Ministerium hatte den rund 800 Flüchtlingen per Rundschreiben mitgeteilt, dass sie sich illegal auf luxemburgischen Boden aufhielten, und ihnen empfohlen, freiwillig zurückzukehren - sonst drohe ihnen die Zwangsausweisung. Aber nur etwa hundert Freiwillige waren zur Rückreise bereit.

Der Flüchtlingsrat verurteilte die Abschiebe-Aktionen: "Die Menschen haben in ihrer alten Heimat keine Zukunftsperspektive mehr", erklärte die Caritas-Flüchtlingsbeauftragte Agnes Rausch, und Serge Kollwelter, Präsident der "Vereinigung zur Unterstützung ausländischer Arbeiter" , wies darauf hin, dass es sich bei den Montenegrinern nicht mehr um Flüchtlinge handle, sondern um Einwanderer, die auf dem luxemburgischen Arbeitsmarkt durchaus willkommen seien.

In der Tat liegen insgesamt etwa 120 Einstellungszusagen vor. Luxemburg sei ein ausländerfreundliches Land, heißt es. Etwa jeder dritte Einwohner stammt nicht aus Luxemburg, in der Hauptstadt sogar jeder zweite. Das ist nicht nur auf die Vielzahl internationaler Banken und auf die zahlreichen Beamten der EU zurückzuführen: Das ehemalige Auswandererland wurde mit dem Boom der Stahlindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg ein Anziehungspunkt für Immigranten.

Luxemburgische Firmen warben vor allem in Portugal und Italien gezielt Arbeitskräfte an. Heute leben fast 60 000 Portugiesen und mehr als 20 000 Italiener im Land westlich der Mosel.

Später zog es außerdem Einwanderer von den Kapverdischen Inseln nach Luxemburg: Die Inselgruppe im Atlantik war einst portugiesische Kolonie, viele Kapverdianer besitzen einen portugiesischen Pass. Zum multikulturellen Erscheinungsbild Luxemburgs tragen nicht zuletzt Zehntausende von Pendlern aus Belgien, Deutschland und Frankreich bei.

Doch auch gegenüber jenen, die sich illegal im Land befanden, zeigte sich die luxemburgische Regierung großzügig: Im Mai 2001 leitete sie eine groß angelegte Regularisierung der "Sans Papiers" (Menschen ohne Papiere) ein. Innerhalb von drei Monaten gingen knapp 3000 Anträge in der eigens eingerichteten Meldestelle im Süden der Hauptstadt ein. Laut Regierung erhielten dabei etwa 1900 Antragsteller eine Aufenthaltsgenehmigung, ungefähr genauso viele bekamen eine Arbeitserlaubnis ausgestellt. Beim Blick auf die Herkunftsländer fällt auf, dass die große Mehrheit unter den "regularisierten" Ausländern nicht etwa illegale Einwanderer, sondern abgelehnte Asylbewerber aus Jugoslawien sind.

Die im Baugewerbe und in der Gastronomie beschäftigten "Schwarzarbeiter" hätten erst gar keinen Antrag gestellt, vermuten Kritiker der Regularisierungsprozedur. Denn eines der Kriterien war der Besitz gültiger Papiere. Aber welcher "Sans Papier" verfügt schon über solche?

Wer zu spät kommt, den bestrafen die Behörden

Im Vergleich zu den Regularisierungen in den Nachbarländern Belgien und Frankreich blieben die eigentlichen "Sans Papiers" somit von der Prozedur ausgeschlossen. Wie schon bei der letzten Regularisierung Mitte der 90er Jahre, als viele Bosnien-Flüchtlinge eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten, kamen vor allem ehemalige Asylbewerber aus Jugoslawien in den Genuss des legalen Aufenthaltsrechts - und zwar unter der Bedingung, dass sie vor dem 1. Juli 1998 nach Luxemburg gekommen waren.

Familie Korac und die anderen abgeschobenen oder immer noch von der Abschiebung bedrohten Kriegsflüchtlinge waren erst nach diesem Stichtag eingereist: Wer zu spät kommt, den bestrafen die Luxemburger Behörden.

Unterdessen befürworten rund 46 Prozent der Einwohner Luxemburgs die Integration der abgelehnten Asylbewerber, indem man ihnen die Möglichkeit zur Beschäftigung einräumt. Dies ergab eine kürzlich veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ilres. Dagegen sprachen sich 26 Prozent der Befragten aus. Die Luxemburger sind demnach ausländerfreundlicher, als die strenge Politik ihrer Regierung und die bisweilen wenig entgegenkommenden Behörden vermuten lassen.

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