"Mit der dicken Hose ist es vorbei"

Sie ist erst 38 und schon die einflussreichste Frau in der SPD: Andrea Nahles, das Aushängeschild der Parteilinken. Am Donnerstagabend referierte Nahles auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Trier. Die TV-Redakteure Rolf Seydewitz und Heribert Waschbüsch sprachen mit der Sozialpolitikerin über die Bayern-Wahl und das Comeback des Mannes, zu dessen Rücktritt als SPD-Parteichef sie vor drei Jahren maßgeblich beigetragen hatte: Franz Müntefering.

Trier. (sey/hw) Die Boulevard-Zeitungen sind ganz narrisch auf ihren "Dirndl-Auftritt" beim Berliner Oktoberfest abgefahren. Waren Sie überrascht?

Nahles: Mir hat das Spaß gemacht, es war ein bisschen wie Karneval. Ich hatte mir überlegt: Wie kann man dem bayerischen SPD-Spitzenkandidaten Franz Maget noch ein wenig mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Maget meinte: Zieh' dir doch ein Dirndl an. Und dann bin ich um die Ecke und hab mir eins gekauft.

Bleiben wir bei einem weiß-blauen Thema: Der SPD konnte doch diese Woche gar nichts Besseres passieren, als von der CSU aus den Negativ-Schlagzeilen vertrieben zu werden...

Nahles: Wir hätten uns natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht. Von der Unzufriedenheit der Wähler mit der CSU haben aber vor allem die Freien Wähler profitiert. Das könnte sich für die CDU zu einer Konkurrenz entwickeln, wie die Linke eine für die SPD ist. Außerdem ist die Mehrheit für Schwarz-Gelb auf Bundesebene weg. Auch das ist eine der zentralen Botschaften der Bayern-Wahl.

Angesichts der erdrutschartigen Verluste der Christsozialen ist das miserable Abschneiden der bayerischen SPD fast schon in den Hintergrund geraten. Die schlappen 18,6 Prozent wurden von den Genossen aber gefeiert wie ein Wahlsieg. Leidet die SPD unter Realitätsverlust?

Nahles: Ich habe das doch begründet. Die CSU ist eine Regionalpartei geworden. Noch benehmen sich ihre Bundespolitiker im Koalitionsausschuss, als seien sie eine eigenständige Partei. Künftig sind sie geschwächt und können nicht mehr mit dicker Hose aufwarten. Das kann allerdings auch dazu führen, dass die Berliner CSUler jetzt noch mehr nach Profil schielen. Am Sonntag werden wir sehen, ob Frau Merkel das noch im Griff hat.

SPD-Fraktionschef Franz Maget müsste für eine Regierungskoalition Freie Wähler, Grüne und FDP ins Boot nehmen. Wir wetten eine Kiste Mosel-Riesling, dass Maget damit scheitert. Was setzen Sie dagegen?

Nahles: (lacht) Schon am Wahl-Abend haben einige gesagt: Eine Vier-Parteien-Koalition ist zu chaotisch. Aber mehr Chaos, als die CSU mit ihren jetzt vier Ministerpräsidenten-Kandidaten alleine angerichtet hat, bekäme eine solche Koalition auch nicht hin. Über die Dimension der Zerrüttung in der CSU bin ich überrascht.

Knapp 19 Prozent in Bayern, derzeit rund 26 Prozent für die SPD auf Bundesebene: Ihre Partei hatte schon mal mehr Rückhalt in der Bevölkerung. Wie wollen Sie den Negativ-Trend umkehren?

Nahles: Durch gute Politik. Und dadurch, dass wir unsere interne Neuaufstellung auf dem Parteitag Mitte Oktober nutzen, um nach vorne zu schauen. Wir dürfen zudem keine Rückspiegel aufstellen. Die Agenda 2010 war 2003; unser Wahlprogramm muss für die Jahre 2009 bis 2013 gelten. Also: Der Blick muss nach vorne gerichtet werden.

Auf dem von Ihnen angesprochenen Sonderparteitag am 18. Oktober soll Franz Müntefering erneut zum SPD-Bundesvorsitzenden gewählt werden. Waren Sie nicht der Grund, warum Müntefering Ende 2005 als Partei-Chef zurückgetreten ist?

Nahles: Da sehen Sie mal, wie schnell die Geschichte über solche Ereignisse hinweg geht. Ich bin jetzt Münteferings Stellvertreterin, möchte aber betonen, dass es auch für mich emotional sehr schwierig war in den letzten Wochen. Ich bin Kurt Beck sehr verbunden, und wir haben das gemeinsam durchgestanden. Trotzdem glaube ich, weil Franz Müntefering und ich uns nach den Ereignissen von 2005 auch ausgesprochen haben, dass wir beide gut zusammenarbeiten werden.

Ein 68-jähriger, zugegeben verdienter und erfahrener Politiker wird der neue, alte Vorsitzende der SPD. Warum glauben Sie, dass ausgerechnet Franz Müntefering Ihre Partei aus der Krise führen kann?

Nahles: Ich habe meinen Teil zu Müntefering gesagt.

Münteferings Vorgänger Kurt Beck schreibt über Sie, Frau Nahles, in seinem unlängst erschienenen Buch, sie seien die "stärkste Persönlichkeit auf der linken Seite der Partei". Was werden Sie in Ihrer Autobiographie über Kurt Beck schreiben?

Nahles: Ich bin doch erst 38 Jahre alt. Wenn ich dereinst mal eine Autobiographie schreiben sollte, wird darin stehen, dass Kurt Beck einer der menschlich anständigsten Politiker ist, dem ich je begegnet bin. Und dass ich als Rheinland-Pfälzerin ihm ein Land verdanke, das sozialdemokratisch geprägt wurde, obwohl es eigentlich sehr konservativ ist. Und dass ich Kurt Beck mag, obwohl er ein Pfälzer ist.

Können Sie Becks Gründe nachvollziehen, warum er den Bettel als SPD-Parteichef hingeworfen hat?

Nahles: Ja. Punkt.

Als "stärkste Persönlichkeit auf der linken Seite der Partei" werden Sie doch Sympathie haben für Ihre hessischen Kollegin Andrea Ypsilanti, die sich von den Grünen und Linken zur Ministerpräsidentin wählen lassen will. Wäre das nicht auch ein Modell für die Zeit nach der Großen Koalition?

Nahles: Wir haben dazu in der Zeit von Kurt Beck nach schwersten internen Auseinandersetzungen eine Linie entwickelt, an die ich mich halte. Die Linie heißt: Die Länder müssen das selbst entscheiden. Und auf der Bundesebene wird nach Inhalten bewertet, ob wir mit der Linkspartei können. Da sage ich Ihnen für 2009: Nein! Ich finde es beispielsweise katastrophal, was die Linkspartei zum Thema Lissabon-Vertrag entschieden hat: Es schwächt die Arbeitnehmer in Europa, wenn es kein starkes Parlament gibt und die Europäische Kommission und der Gerichtshof machen können, was sie wollen. Und mit der Parole "Hartz IV muss weg" können Sie im Jahr 2013 niemanden mehr davon überzeugen, dass dies eine zukunftsweisende und vernünftige Arbeitsmarktpolitik ist. Heißt: Inhaltlich geht da 2009 nichts zusammen.

zur person

Die studierte Literaturwissenschaftlerin Andrea Nahles (38) ist seit anderthalb Jahren stellvertretende Vorsitzende der SPD. Die in der Nähe von Mayen wohnende Politikerin war von 1995 bis 1999 Bundesvorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos. Im Bundestag sitzt Nahles mit dreijähriger Unterbrechung seit 1998.

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