Neue Ordnung mit Leitplanken

Berlin/Luxemburg/Trier · Im Strudel der Finanzkrise mussten europäische Staaten an diesem Wochenende gleich mehrere „Not-Operationen“ vornehmen, damit das Finanzsystem am Montag nicht kollabierte. Der Trierer Finanzexperte Professor Wolfgang Filc rechtfertigt dieses Einschreiten als einzigen Ausweg.

Mit dramatischen Rettungsaktionen haben Deutschland die Hypo Real Estate (HRE), Großbritannien den britischen Baufinanzierer Bradford & Bingley für 63 Milliarden Euro und die Benelux-Staaten den europäischen Finanzgiganten Fortis vor dem Zusammenbruch bewahrt. Der Bund hat mit einer Bürgschaft von 35 Milliarden Euro den Rettungsanker für den angeschlagenen Immobilienfinanzierer HRE ausgeworfen, ohne den die deutschen Privatbanken nicht zur Finanzhilfen bereit gewesen wären. Die Aktionen könnten den deutschen Steuerzahler noch teuer zu stehen kommen, sind sich Experten einig.

„Es gibt keinen anderen Ausweg“

Sollte die 35-Milliarden-Bürgschaft auf Grund von Verlusten in Anspruch genommen werden, entfielen in einem ersten Schritt von den dann 14 Milliarden Euro 60 Prozent auf die Privatbanken. Einen zweiten Teil müsste der Bund allein tragen. Damit muss der Steuerzahler im schlimmsten Fall mit 26,6 Milliarden Euro einspringen. Dabei sei nicht vorgesehen, die Bank zu verstaatlichen, heißt es aus dem Finanzministerium.

Luxemburg, Belgien und die Niederlande haben indes bei Fortis diesen Weg gewagt: Belgien kaufte für 4,9 Milliarden Euro 49 Prozent der Fortis-Anteile, die Niederlande für vier Milliarden die Fortis Holding Niederlande und das Großherzogtum ist für 2,5 Milliarden Euro nun Besitzer von 49 Prozent der Fortis Bank Luxemburg.

Der Trierer Finanzexperte Filc rechtfertig das staatliche Eingreifen: „Es gibt derzeit keinen anderen Ausweg. Der Flächenbrand muss gestoppt werden. Wenn solche Banken sterben, hat das einen furchtbaren Dominoeffekt.“ Den Staaten bliebe gar nichts anderes übrig, um größeren Schaden abzuwenden, sagt Filc. Gleichzeit müssten aus der „weltweit größten Finanzkrise“ nun auch Konsequenzen gezogen werden. „Wenn wir jetzt nichts ändern, dann steht uns ,Karl Marx' oder noch schlimmer ‚Lafontaine' bevor.“

Doch in jeder Krise stecke auch eine Chance, meint Filc. Vor allem brauche die Finanzwelt „außermarktmäßige Institutionen“, die die Risiken prüfen. Die privaten Rating-Agenturen seien viel zu sehr in das System involviert gewesen, ärgert sich der Finanzexperte: „Die Rating-Agenturen sind die Nutten der Finanzwelt, die sich für ihre guten Bewertungen von den Auftraggebern bezahlen ließen.“ Diese Aufgabe müsse in Zukunft in unabhängige, staatliche Hände gehen. Zudem sei eine weltweit gültige Ordnungspolitik in der Finanzwelt notwendig (Global Governance). „Wir brauchen solche Leitplanken, damit verhindert wird, dass diejenigen, die auf der Autobahn ohne Rücksicht rasen, auch noch die Bauern auf dem Feld mit umfahren, wenn sie aus der Bahn fliegen“, wählt Filc einen bildhaften Vergleich.

In der Vergangenheit habe die Finanzwelt die Risiken von Anlagen immer wieder gerne verharmlost und „das bei Renditen von 25 Prozent“. „Doch jede Geldanlage birgt immer ein Risiko, weil es die sichere Gegenwart mit der ungewissen Zukunft verbindet“, sagt Filc. Getrieben von Gier, ließen die Menschen aber immer wieder gerne mögliche Risiken außer Acht.

Und die Zeche für eine solche ungezügelte Gier, das zeige eben auch diese gewaltige Finanzkrise, müsste dann der Steuerzahler zahlen.

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