Nicht der Weisheit letzter Schluss

In der Sitzung des Koalitionsausschusses gestern Abend in Berlin wurde auch über die geplante Pflegereform verhandelt. Schon vor dem Treffen stand fest, dass eine grundlegende Neuordnung bei der Finanzierung gescheitert ist.

Berlin. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit dem Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, dessen Forschungsschwerpunkt die Sozialsysteme in Deutschland sind.Herr Raffelhüschen, die gute Konjunktur hat auch der Pflegeversicherung genützt. Wie lange wäre die Pflegekasse ohne Reform-Eingriffe noch flüssig?Raffelhüschen: Zunächst einmal will ich festhalten, dass die gute Kassenlage nicht nur auf die Konjunktur zurückzuführen ist. Für die Kinderlosen wurde der Beitrag erhöht. Hinzu kam ein beitragstechnischer Einmaleffekt. Dadurch flossen im letzten Jahr nicht zwölf, sondern 13 Monatsbeiträge in die Pflegekasse. Wenn die gute Konjunktur weiter anhält, wäre die Pflegeversicherung bis etwa 2015 flüssig. Nach allen wirtschaftlichen Erfahrungen muss man aber davon ausgehen, dass die Pflegeversicherung etwa im Jahr 2009 aus dem finanziellen Lot gerät. Von der geplanten Reform ist im Kern nur eine Beitragserhöhung übrig geblieben. Dafür verbessern sich die Leistungen. Eine Kapitaldeckung wird es nicht geben. Ein Manko?Raffelhüschen: Eine Beitragserhöhung, die durch Leistungsausweitungen gleich wieder aufgezehrt wird, kann natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wenn die Demenzkranken wie geplant stärker in die Pflegeversicherung einbezogen werden, wird sich der Druck auf den Beitrag langfristig weiter erhöhen. Ob der Beitragssatz deshalb schon 2012 oder 2014 steigen muss, kann kein Experte vorhersehen. Was verstehen Sie unter einer grundlegenden Pflege-Reform?Raffelhüschen: Wir müssen weg kommen von der lohnbezogenen Beitragszahlung hin zu einer pauschalen Finanzierung. Eine Lohnerhöhung führt zu höheren Beiträgen, obwohl sich das individuelle Pflegerisiko überhaupt nicht verändert hat. Zugleich braucht man eine Kapitalbildung zur Mitfinanzierung der demografischen Veränderungen. Für beides hat die Politik aber nicht die Kraft gehabt. Die SPD hat vergebens versucht, die soziale Pflegeversicherung durch einen Finanzausgleich der privaten Pflegekassen zu stabilisieren. Lag sie da so falsch?Raffelhüschen: Diese Forderung ist haarsträubend. Die private Pflegeversicherung praktiziert bereits eine Kapitalbildung. Mit der Idee der SPD würde dieser richtige Ansatz wieder zunichte gemacht. Eine zukunftsfeste Reform bedeutet, dass man die gesetzliche der privaten Pflegeversicherung annähern muss und nicht umgekehrt. Vor allem jüngere Versicherte zahlen in der Privaten deutlich weniger Beiträge als in der sozialen Pflegeversicherung, obwohl die Leistungen identisch sind. Ist das gerecht?Raffelhüschen: Im Durchschnitt zahlen die Privatversicherten so viel Beitrag, wie es ihren gesundheitlichen Risiken entspricht. Zusätzlich kommen sie noch für die Kapitaldeckung auf. Bei einem Beitragsvergleich kann man nicht nur die Jüngeren von heute heranziehen. Sie sind die Älteren von morgen und werden dann entsprechend höhere Beiträge zu zahlen haben. Ob das Pflegerisiko über das gesamte Leben der Privatversicherten besser ist, wie immer gesagt wird, steht überhaupt noch nicht fest. Gerade Beamte leben im Schnitt länger als andere Bevölkerungsteile, was sich auch auf die Pflegekosten niederschlagen wird. ZUR PERSON Bernd Raffelhüschen, geboren 1957 in Niebüll, ist Professor für Finanzwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er studierte ab 1977 Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der FU Berlin und der Universität Århus. 1989 promovierte er in Kiel, 1994 erfolgte die Habilitation. Seit 1995 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft in Freiburg. Raffelhüschens Forschungsschwerpunkte sind der demografische Wandel und Systeme der sozialen Sicherung. Raffelhüschen wirbt für eine Ablösung des umlagefinanzierten Rentensystems durch eine kapitalbasierte, privatwirtschaftliche Rente. (Quelle: Wikipedia)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort