Nützliches Erbe des Schreckens

TRIER/SAARLOUIS/METZ. "Das größte Festungs-Freilichtmuseum der Welt" – so nennt die junge Wissenschaftlerin Anja Reichert von der Uni Trier den Saar-Lor-Lux-Raum. In ihrer Doktor-Arbeit hat sie eine umfassende Bestandsaufnahme mit Vorschlägen für eine effektivere Nutzung verbunden. Morgen stellt sie ihre Überlegungen öffentlich vor.

Jahrhunderte lang war die Großregion zwischen Verdun und Metz, Saarlouis und Luxemburg, Trier und Birkenfeld das Aufmarschgebiet für unzählige Kriege. Sichtbare Hinterlassenschaft der Schreckenszeiten: Tausende von Bunkern, Forts, Festungen und Zitadellen. Allein 600 Großanlagen hat Anja Reichert gezählt. "Wenn man die kleinen dazu rechnet, wird man nicht mehr fertig", sagt die frisch gebackene Dr. phil. "Kulturgut, das der Krieg erschuf", nennt Reichert die steinernen Zeugen. Wohlwissend, dass der Begriff Kultur in diesem Zusammenhang bisweilen als Provokation empfunden wird. "Je älter die Anlagen sind", so die Erfahrung des Wissenschaftlerin, "desto leichter fällt es vielen, sie als kulturelles Erbe zu akzeptieren". Mit anderen Worten: Die Zitadelle aus dem Mittelalter wird eher als schützenswert empfunden als der Westwall-Bunker nebenan. Von letzteren ist ohnehin nur noch ein Bruchteil übrig. Viele wurden gleich nach dem Krieg von den Franzosen gesprengt, aus militärischen Gründen. In den Sechziger Jahren erfolgte die zweite Abbruch-Welle - diesmal waren es die Deutschen selbst, die die unhandlichen Überbleibsel aus dem Weg räumten, mal wegen der Sicherheit, mal um Platz für neue Baugebiete zu schaffen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fristen die verbliebenen Anlagen seither ein eher unbeachtetes Dasein. Vereinzelt kümmern sich Vereine um die Kriegs-Andenken, manche sind gar privatisiert worden und dienen skurrilen Nostalgikern als persönlicher Abenteuerspielplatz. Ein Konzept für den Umgang mit den verbleibenden Festungsbauten, wie es Anja Reichert einfordert, existiert bislang nicht. Damit vergebe die Großregion eine "unglaubliche Chance", ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Immerhin zögen die wenigen öffentlich zugänglichen Anlagen jährlich 620 000 Touristen an, vorrangig in Frankreich. Eine systematische Erschließung, etwa in Form einer grenzüberschreitenden "Straße der Festungen", böte nach ihrer Überzeugung attraktive Perspektiven. Eine solche touristische Route sei freilich nur denkbar, "wenn auf deutscher und französischer Seite alle an einem Strang ziehen". Und danach sieht es kaum aus. Immerhin hat das Bundesfinanzministerium als Eigentümer der Anlagen zurzeit die Abrissbirne weitgehend stillgelegt (der Volksfreund berichtete), aber mehr auch nicht. "Alle Seiten tun sich schwer mit dem Thema", vermutet Anja Reichert. Dabei seien die Anlagen nicht nur eine potenzielle touristische Attraktion, sondern auch "Geschichtsunterricht pur". Die Universität Trier und die Volkshochschule präsentieren in der Vortragsreihe "Trier und drumherum" die Arbeiten junger Wissenschaftler, die sich mit der Region befassen. Am Freitag, 15. April, um 19 Uhr beschäftigt sich Anja Reichert im Vortragsraum der VHS Trier am Domfreihof in Wort und Bild mit "Kulturgut, das der Krieg erschuf".

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