Pauschale soll Kostenlawine stoppen

MAINZ. Weniger Arbeitsaufwand – weniger Geld, heißt die Rechnung, mit der die Justizminister die Kostenlawine bei den Betreuungsfällen aufhalten wollen. Sozialverbände und Betreuer fürchten einen Rückfall in Zeiten des Vormundschaftsrechts und warnen vor dem Abbau von Hilfen.

Auf die Explosion der Betreuungskosten in der Rechtsfürsorge haben Bund und Länder nach Jahre langem Hin und Her reagiert: Zum 1. Juli tritt ein überarbeitetes Gesetz für die rechtliche Vertretung nicht mehr geschäftsfähiger Menschen in Kraft, das die Kosten pauschaliert und Gerichtsverfahren vereinfacht. Lähmende Bürokratie werde abgebaut und Verwaltungsausgaben verringert, ohne die Qualität der Betreuung zu mindern, verspricht der Mainzer Justizminister Herbert Mertin (FDP), einer der Initiatoren der Reform. Wo bisher Einsatzstunden abgerechnet wurden, gibt es dann festgelegte Zeitkontingente. Michael Seiff, Vorsitzender des Verbandes der Berufsbetreuer, lobt zwar den Wegfall von Verwaltungsaufwand. Gleichzeitig steht für ihn aber fest, dass die zugebilligten Pauschalen weniger Zeit für den einzelnen Fürsorgefall bedeuten. Die Betreuungsqualität werde leiden, weil bei seinen Kollegen im Gegensatz zu den ehrenamtlichen Kräften ohnehin die arbeitsintensiven Fälle landeten. Betreuung statt Entmündigung und Vormundschaft lautete zu Beginn der 90er Jahre die Vorgabe, mit der mehr Menschlichkeit in die Rechtsfürsorge gebracht und Betroffenen ein möglichst großes Maß an Selbstbestimmung belassen werden sollte. In Rheinland-Pfalz stieg die Zahl der Betreuungsfälle von 28 000 im Jahr 1993 auf inzwischen mehr als 60 000. Parallel haben sich die Kosten von 120 000 Mark auf knapp 19 Millionen Euro vervielfacht. Laut Mertin sind die extremen Kostensteigerungen nicht nur auf höhere Fallzahlen zurück zu führen, sondern auch auf eine unzulässige Ausweitung der Rechtsvertretung. Soziale Betreuung oder Dienstleistungen könnten nicht auf Justizkosten laufen, mahnt der Minister und hofft, die Lawine zu bremsen. Künftig können nicht mehr die Arbeitsstunden per Einzelnachweis abgerechnet werden, sondern nur noch Pauschalen des vorgegebenen Zeitbudgets. So kann ein Betreuer für einen Heimbewohner in den ersten drei Monaten fünfeinhalb Stunden geltend machen, beim Aufenthalt des Klienten zu Hause achteinhalb Stunden. Danach halbiert sich das Kontingent stufenweise innerhalb eines Jahres. Aus Sicht von Jan Jaeger, freiberuflicher Betreuer in Trier, ist die Reform ein klarer Rückschritt. Wie viele Stunden er für einen Klienten aufbringen darf, richtet sich nicht mehr nach dessen Krankheitsbild, sondern danach, ob der zu Hause betreut wird oder im Heim. Zwei Drittel seiner bisher 35 Betreuten sind junge psychisch Kranke in häuslicher Versorgung. Mit den neuen Zeitkontingenten wird künftig vieles nur noch vom Schreibtisch aus zu regeln sein, fürchtet Jaeger. Ab Juli werde es nur noch eine Grundversorgung geben, die Problemfällen oder Krisensituationen nicht mehr gerecht werde. Brachte er für seine Klienten bisher 180 Stunden im Monat auf, sind es nach den neuen Vorgaben 104 Stunden. Um finanziell über die Runden zu kommen, hat der Diplom-Pädagoge bereits zehn weitere Betreuungsfälle übernommen. Von der einstigen Jahrhundertreform im Betreuungsrecht bleibe nicht mehr viel übrig, so Jaeger. Verhindert wurde im neuen Gesetz die geplante Kürzung der Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Betreuer von 316 Euro im Jahr. Gestärkt wird zudem die Vorsorgevollmacht. Mit einer frühzeitigen Festlegung des Beistandes können Betreuungsverfahren vermieden werden.

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