Plötzlich ist alles anders

TRIER. Immer mehr Kinder werden schwanger. Und das obwohl keine Generation als aufgeklärter gilt als die heutige. Gründe sehen Experten im mangelnden Selbstwertgefühl und Körperbewusstsein, einer zu späten oberflächlichen Aufklärung und darin, dass Sex zum Konsummittel wurde.

Ein Blick in die Statistik zeigt es: Die Zahlen schwangerer Minderjähriger steigen. 1996 war es noch ein Mädchen unter 15 Jahren, das in Rheinland-Pfalz ein Kind zur Welt gebracht hat, 2001 waren es immerhin schon fünf. Während die Zahl der 15-jährigen Mütter zwischen 1996 (25) und 2001 (20) leicht zurückgegangen ist, stieg sie bei den 16-Jährigen von 57 auf 74 an. Deutschlandweit ist die Zahl der Schwangeren unter 15 Jahren seit 1996 sogar um 90 Prozent gestiegen. Hohe Steigerungsraten bei jungen Müttern

Bei den 15- bis 18-Jährigen stieg sie um 58 Prozent. Insbesondere steigt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei Minderjährigen. Laut Statistischem Bundesamt ist der Anteil der Abtreibungen bei minderjährigen Schwangeren von 6337 im Jahr 2000 auf 7605 im Jahr 2001 gestiegen. Laut Pro-Familia in Trier liegt der Anteil Minderjähriger an der Schwangeren-Konflikt-Beratung gegenüber dem Bundesdurchschnitt um zwei Prozent niedriger. "Das Leben eines jungen Mädchens wird für immer verändert sein, egal, ob es sich für das Kind oder für eine Abtreibung entscheidet", sagt Gisela Gille, Frauenärztin und Vorsitzende der Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau (ÄGGF). Mädchen werden heute viel früher geschlechtsreif als in der Vergangenheit. Im Durchschnitt bekommen sie ihre erste Regel zwischen dem zwölften und dreizehnten Geburtstag, die ersten aber bereits mit neun Jahren. "Trotzdem wurde weder in der Pädagogik noch in der Gynäkologie bisher ein Handlungsbedarf gesehen", kritisiert die Frauenärztin. Laut einer Erhebung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Jugendsexualität 2001 haben 11 Prozent der 14-jährigen, 25 Prozent der 15-jährigen und 40 Prozent der 16-jährigen Mädchen bereits Geschlechtsverkehr. Aus dem Trendvergleich der 80-er Jahre wird deutlich, dass Mädchen immer früher das "erste Mal" erleben. Auch erfolge der erste Geschlechtsverkehr bei Jugendlichen immer mehr ungeplant, was mit dem frühen Einstiegsalter ins Sexualleben zusammenhängt. Die Konsequenz: 18 Prozent der 14- bis 15-jährigen Mädchen erleben das erste Mal ohne Verhütung. Mit "es passierte zu spontan", "es wird schon nichts passieren" oder "ich habe mich nicht getraut das Thema anzusprechen", entschuldigen die Jugendlichen den ungeschützten Geschlechtsverkehr. "Sexuelle Neugier und Bedürfnisse nach Intimität erwachen in einem Alter, in dem ein geringes Selbstwertgefühl und eine hohe Risikobereitschaft mit mangelnden Informationen zusammen treffen. Außerdem ist der Gruppendruck häufig immens, denn Sex ist zum Konsumartikel geworden, das sexuelle Debut zur Pflichtkür", so Gille, "Die geistige Reife hält nicht Schritt mit dieser biologischen Entwicklung." Mädchen sind zwar sehr früh geschlechtsreif, aber im Kopf Kinder. Jugendzeitschriften erzeugen einen zusätzlichen "Alle-Außer-Mir- Druck" bei Teenagern. Vor allem Mädchen die aus "kalten Nestern" kommen, wenige Interessen und Hobbys haben, flüchten in frühen Sex. Der ideale Zeitpunkt für Aufklärung liegt laut Gille im elften Lebensjahr. Zu Beginn der Pubertät brauchen die Teenager laut Gille die Gewissheit, dass das was in ihren Körper vorgeht, normal, sogar faszinierend und kein Tabu ist. Mädchen müssen Freude am Weiblichsein entwickeln und begreifen dass Jungen anders ticken. Jupp Arldt, Geschäftsführer der Landeszentrale für Gesundheitsbildung (LZG) geht davon aus, dass starke Kinder und Jugendliche eher in der Lage sind mit der persönlichen Sexualität umzugehen. Die Experten sind sich einig: Frühzeitige Aufklärung für die vielfach nur oberflächlich informierten Schüler sind wichtig. Eine Lehrerin verdeutlicht das Problem: "Die wissen wie man angekettet zum Orgasmus kommt, aber über ihren Körper und ihre Regel können sie nicht reden."

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